Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
Vom Netzwerk:
Nacht hier gewesen sein, sagte er. Sie muß sich reingeschlichen und sich dein verdammtes Handy geholt haben. Wolf reichte das blaue Handy an Kris weiter. Es war naß, und als Kris es aufklappte, fielen ein paar Wassertropfen auf den Tisch.
    – Warum sollte sie das tun? fragte er.
    – Irgendeine subtile Form von Rache, mutmaßte Wolf. Frag mich nicht, die Frau war mir schon immer ein Rätsel.
    – Dir ist doch jede Frau ein Rätsel, sagte Tamara.
    Sie sahen einander kurz an. Und da war alles, da war der Schmerz, da war die Vergangenheit und die Verzweiflung.
    Es ist wirklich wahr?
    Es ist wirklich wahr.
    Kris versuchte, das Handy einzuschalten. Nichts geschah. Er legte es auf den Tisch und rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht.
    – Frauke hätte sich nie gerächt, sagte er, das paßte nicht zu ihr.
    – Sowenig wie es zu ihr paßte, daß sie auf einen gefrorenen See rausrennt und darin ertrinkt, ergänzte Tamara. Das war niemals ein Unfall. Ich glaube das nicht.
    Sie sah Wolf an.
    – Du selbst hast vorhin gesagt, sie wäre niemals so dämlich gewesen.
    – Ja, aber sie war immerhin dämlich genug, uns zu verpfeifen, wandte Wolf ein.
    Tamara stieß ihn gegen die Schulter.
    – Sag das nicht, Frauke war nicht dämlich.
    – Ich verstehe nicht, warum sie es gestohlen hat, sagte Kris und tippte sein Handy an, als könnte das Handy ihm eine Antwort geben. Ich habe wirklich keinen blassen Schimmer.
     
    Tamara sieht den strahlend blauen Himmel im schwarzen Lack des Sargdeckels. Sie glaubt, wenn sie sich weit genug vorbeugt und aufden Sarg runterschaut, dann wäre es wie im Märchen. Nicht ihre Spiegelung würde zurückschauen, sondern Frauke, und sie könnten dann miteinander reden, als wäre nichts geschehen.
    Fraukes Vater steht am Kopfende des Sargs, neben ihm die Mutter, die für das Begräbnis die Privatklinik verlassen durfte. Tamara hat ihr zur Begrüßung die Hand geschüttelt. Ich kannte Frauke besser als du , hätte sie am liebsten gesagt.
    Fraukes Mutter hat sie ignoriert. Sie weicht jedem Blickkontakt aus. Entweder schaut sie einem demonstrativ über die Schulter, oder sie starrt auf den Sarg, als könnte sie durch das Holz hindurch ihre tote Tochter sehen.
    Es ist falsch, was wir hier tun , denkt Tamara, Kris hat recht gehabt.
    Als Teenager hatten sie einander geschworen, nie unter der Erde zu landen. Sie wollten ihre Asche auf den Lietzensee verstreuen lassen, so daß sie auch im Tod immer zusammen wären. Nichts davon hat Fraukes Vater interessiert. Er hat darauf bestanden, daß Frauke auf dem Städtischen Friedhof Zehlendorf beerdigt wird. Und als Kris anfing, mit ihm zu diskutieren, hat Gerd Lewin gesagt:
    – Ich brauche einen Ort, an dem ich meine Tochter sicher weiß und wo ich sie jederzeit aufsuchen kann, versteht ihr das nicht?
    Tamara verstand ihn. Welche Verbindung auch immer zwischen den beiden bestanden hat, so leicht würde Fraukes Vater seine Tochter nicht gehen lassen. Kris wollte das nicht verstehen. Er weigerte sich, zur Beerdigung zu kommen, und verschwand nach dem Frühstück im Schuppen. Kris kam mit mehreren Fuhren Holz ins Wohnzimmer und stapelte sie neben dem Kamin. Wolf stellte fest, daß es so kalt nun auch nicht mehr wäre, worauf Kris meinte, sie sollten mal zur Beerdigung fahren, er würde solange das Feuer am Brennen halten.
    Vielleicht ist das die beste Art, Abschied zu nehmen , denkt Tamara und sieht auf ihre Hand, die fest und sicher in der von Wolf liegt. Sie vermißt Wolf, obwohl er neben ihr steht. Sie vermißt Kris. Und Frauke. Sie möchte im Moment jeden Menschen, der ihr jemals nahe war, neben sich haben und festhalten. Sie wünscht sich auch, sie wäre bei Kris in der Villa geblieben. Sie wünscht sich soviel, aber nichts davon geschieht. Keiner spricht. Keiner verläßt denFriedhof. Die Minuten schleppen sich dahin. Niemand denkt daran, ihr auch nur einen Wunsch zu erfüllen. Tamara fängt an zu weinen. Sie hat gedacht, da wären keine Tränen mehr. Wolf legt den Arm um ihre Schultern. Jemand reicht ihr ein Taschentuch. Es wird noch ein langer Vormittag werden.

KRIS
    Kris kam vom Joggen, als er es erfuhr. Er betrat die Villa und wurde von der Stille überrascht. Er schaute erst in die Küche, dann in das Wohnzimmer. Auf dem Weg nach oben hörte er ein Weinen.
    Tamara und Wolf befanden sich auf dem Boden im Flur. Wolf saß, Tamara hatte sich zu einem Ball zusammengerollt, ihr Kopf lag in Wolfs Schoß. Kris brachte kein Wort hervor. Eine Diele knarrte unter

Weitere Kostenlose Bücher