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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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seinem Fuß. Wolf blickte auf und sah ihn an. Nicht , wollte Kris ihm sagen, bitte, was auch immer du sagen willst, behalte es für dich.
    – Sie ist tot, sagte Wolf.
    Kris wollte sich umdrehen und gehen, aber er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Wolf hob die Schultern, als wäre er ratlos, und wiederholte:
    – Sie ist tot, Kris, einfach tot.
    Tamaras Weinen klang wie ein Insekt, das in einem Glas gefangen ist und vergeblich nach einem Ausgang sucht.
     
    Jetzt sitzt Kris in Shorts vor dem Kamin und füttert die Flammen, als hinge sein Leben davon ab. Das Haar klebt an seinem Kopf, Schweiß tropft auf den Teppich und hinterläßt dunkle Spuren. Sein Rücken ist naß. Rechts von ihm steht eine Wasserflasche, an ihrer Innenseite haben sich Sauerstoffperlen gebildet, das Wasser ist pißwarm.
    Kris ist froh, daß er nein zur Beerdigung gesagt hat. Er weiß, daß es falsch ist.
    Alle paar Minuten beugt er sich vor und legt ein Holzscheit nach. Das Feuer ist fast lautlos, nur ab und zu knackt es, und weiße Funken schießen nach oben. Wäre alles so einfach wie ein Feuer, das gefüttert werden muß, würden wir alle vor Kaminen sitzen und in Glückseligkeit versinken , denkt Kris und nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche.
    Er weiß, was er hier tut.
    Als sie Kinder waren, verbrachten Wolf und er die Sommerferien bei den Großeltern am Starnberger See. In dem Sommer, in dem Kris acht und Wolf sechs war, starb ihr Großvater bei einem Auto unfall. Es war ihr erster Kontakt mit dem Tod. Sie erlebten die Trauer der Großmutter, sie sahen ihre Eltern weinen und standen Tage später verloren neben all den anderen Trauernden auf dem Friedhof und hatten keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollten. Kris schwor sich damals, nie wieder auf eine Beerdigung zu gehen.
    In derselben Nacht kam die Großmutter in das Gästezimmer, das Wolf und er sich während der Ferien teilten. Sie hatte zwei Kerzen dabei und erklärte, auch die Toten bräuchten ein Licht, das sie leitet.
    – Wenn euer Großvater das Licht sieht, wird er sich nicht fürchten, und er wird wissen, wie sehr ihr ihn liebt.
    Die Brüder sahen mit großen Augen zu, wie die Großmutter jedem eine Kerze reichte, sie anzündete und dann wieder aus dem Zimmer ging.
    Jahre später lachten sie über diese Nacht, damals aber waren sie ratlos gewesen und saßen jeder mit einer Kerze zwischen den Fingern auf ihren Betten und wagten es nicht, sich zu rühren. Wie sollten sie jetzt schlafen? Was, wenn die Kerzen verloschen? Würde ihr Großvater in der Dunkelheit verlorengehen?
    Die Großmutter war so sehr in Trauer versunken, daß sie vergessen hatte, ihnen Kerzenständer zu geben. Und so verbrachten sie die Nacht mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und den Augen auf die Kerze in ihren Händen gerichtet. Sie sprachen eine Weile über den Großvater, bis sie müde wurden. Wolf nickte ein und erwachte von dem heißen Wachs, das ihm über die Hände lief. Kris dagegen wagte es kaum zu blinzeln und starrte die Kerzenflamme an, als wäre sie das Lebenslicht des Großvaters. Er glaubte, wenn er die Flamme über Nacht am Leben erhielte, dann würde der Großvater am Morgen mit am Frühstückstisch sitzen.
    Gegen drei Uhr gab Wolf auf, löschte die Kerze und legte sich schlafen.
    Kris hielt durch. Im Morgengrauen hörte er die Großmutter aus dem Bett steigen. Er hörte die erwachenden Vögel, die Geräusche des ersten Zuges von der nahe liegenden Bahnstation und das Rauschen seines Blutes in den Ohren. Als seine Kerze nur noch ein winziger Stummel war und kurz davorstand, ihm die Finger zu verbrennen, rief die Großmutter nach ihnen. Sie sollten aufstehen, das Frühstück wäre fertig.
    Wolf schrak aus seinem Schlaf und sah Kris mit dem flackernden Kerzenstummel in der Handfläche auf dem Bett sitzen. Kris erinnert sich noch genau daran, wie sein kleiner Bruder die verloschene Kerze auf seinem Nachttisch anstarrte und überlegte, ob er sie schnell wieder anzünden sollte. Natürlich kam in dem Moment die Großmutter herein.
    Wolf gestand ihr schluchzend, daß es ihm leid täte, aber er hätte nicht, er hätte einfach nicht wach bleiben können. Die Großmutter beruhigte ihn und sagte, so wäre das nun auch nicht gemeint gewesen. Sie wollte noch mehr sagen, da schrie Kris. Es war beides zugleich – ein Schrei des Schmerzes und der Erleichterung. Die Kerze in seiner Hand war heruntergebrannt, der Docht hatte sich wie eine glühende Nadel auf seine Handfläche gelegt. Kris

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