SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
eigenständiges Gegenüber in Form der Eltern, eine verlässliche Bezugsperson, die dem Kind klarmacht, welche Dinge gehen und welche nicht gehen. Das Kind macht somit altersangemessen die Erfahrung, dass es dieses Gegenüber nicht beständig steuern kann. Es erlebt, dass es selbst auch gesteuert und begrenzt wird. Das sorgt natürlich bisweilen für Frusterlebnisse, es sorgt für Disharmonie und zeitweilig für ein scheinbar schlechteres Familienklima. Der emotionalen und sozialen Entwicklung jedoch ist es zuträglich.
Um es noch einmal ganz klar herauszustellen: Wir haben es mit einem Problem zu tun, bei dem viele verschiedene Phänomene ineinandergreifen. Erwachsene sind tendenziell im Hamsterrad und damit psychisch im Katastrophenmodus. In einer realen Katastrophensituation wie beispielsweise einer Überschwemmung versucht man zu retten, was zu retten ist. Der Mensch ist in diesem Moment rein »kopfgesteuert« und verfügt nicht mehr über seine Intuition. So geht es wohl auch Eltern, die sich im Katastrophenmodus befinden. Wenn ihr Kind hinfällt, müssen Eltern normalerweise intuitiv erspüren, ob es sich wirklich wehgetan hat. Wenn dieses Gespür für die Situation fehlt, kann es passieren, dass die Eltern das Kind trösten, obwohl gar nichts passiert ist. Wenn ein Säugling schreit, muss die Mutter erspüren können, ob er Hunger hat, müde ist oder gewickelt werden muss. Heute ist jedoch häufig zu beobachten, dass Eltern in einer solchen Situation hilflos überlegen, was wohl mit ihrem Kind los sein könnte, ohne dass sie der Situation angemessen handeln. Kurz gesagt: Im Katastrophenmodus denkt und handelt der Erwachsene nicht mehr intuitiv und perspektivisch, sondern ausschließlich auf den Moment bezogen.
Wenn man das im Hinterkopf hat, wird die Situation klarer: In den Familien wird versucht, im Hier und Jetzt eine harmonische Situation herzustellen, um Druck zu vermeiden und den Familienfrieden zu wahren. Damit können dann alle zufrieden sein. Die Kinder können lustorientiert tun und lassen, was sie wollen, die Eltern und Großeltern sehen glückliche Kinder, fühlen sich geliebt, und das Glück ihres Kindes ist gleichzeitig auch ihr eigenes Glück.
Überspitzt formuliert sieht so das Zukunftsmodell der deutschen Familie aus. Dummerweise gibt es jedoch eine Arbeitswelt, in der die jungen Menschen, sobald sie den Kinderschuhen und ihrer Familie entwachsen sind, auf eine gänzlich andere Umgebung treffen. Das Arbeitsleben ist nicht mehr kuschelig und watteweich. Hier gibt es Chefs und Vorgesetzte. Sie stellen Anforderungen, die letztlich durch den Markt für die Produkte der jeweiligen Firma vorgegeben werden. Kann die Firma ihren Markt nicht bedienen, wird es sie irgendwann nicht mehr geben. Gibt es die Firma nicht mehr, haben auch die Mitarbeiter keinen Arbeitsplatz mehr. Allein deswegen kann im Berufsleben das Anforderungsniveau nicht in einem Maß abgesenkt werden, wie ich es noch am Beispiel der Schule zeigen werde. Wenn aber Menschen, die es bisher gewöhnt waren, dass sich die Anforderungen immer ihrem psychischen Niveau anpassten, sich nun ihrerseits den Anforderungen anpassen sollen, müssen sie in den meisten Fällen scheitern.
Genau das passiert derzeit auf dem deutschen Ausbildungsmarkt. Die Firmen haben ein Anforderungsprofil für Auszubildende, dem immer mehr Bewerber nicht einmal annähernd entsprechen.
Erziehung auf dem »Tablet« serviert? Ein paar Bemerkungen zum Medienkonsum
Zur Disharmonie in den Familien tragen oft auch die Themen »Computer« und »Fernsehen« bei. Die Diskussion um Wert oder Unwert von elektronischen Medien speziell auf Kinder bezogen ist mindestens so alt wie der Fernseher. TV-Konsum ist immer noch ein heißes Thema in Diskussionen über »richtige« oder »falsche« Erziehung. Seit den Neunzigerjahren verschärft der Umgang mit dem PC die Debatte, heute kommen noch Tablets und Smartphones dazu. Eine ganze Industrie möchte an der Entwicklung von Apps für Kinder, zum Teil schon für unter Dreijährige, verdienen und bemüht sich deshalb, den pädagogischen Wert dieser Programme und Spiele für die Kleinen und Kleinsten nachzuweisen.
Für mich spielt dieser pädagogische Wert, so es ihn denn überhaupt gibt, nicht die entscheidende Rolle, sondern auch hier steht die Frage nach der Entwicklung des Kindes im Vordergrund. Ein Kindergartenkind wird sicher keine Schwierigkeiten haben, die Bedienung einer App auf dem Tablet zu erlernen. Es wischt und tippt auf
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