SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
wir lange Zeit in diesem Wandel der Auffassung von Erziehung bestehen können. Aber langsam kommen auch wir an unsere Grenzen: Die Politik suggeriert den Eltern, der Kindergarten oder die Krippe sei für alles zuständig. Eltern, die genauso sind, wie Sie es beschreiben. Kinder, die erziehungsresistent sind, da sie noch niemand von ihrem Thron geholt hat. Die Anforderungen der Politik, der Eltern, der Arbeitgeber steigt in einem Maße, und aller Druck wird von oben nach unten gegeben. Nebenher muss alles dokumentiert werden: Der Nationale Kriterienkatalog wird uns als die ›Best Practice‹ verkauft. Wir durchlaufen Zertifizierungslehrgänge, deren Sinn und Unsinn von den Leuten an der Basis, also denen, die in den Einrichtungen arbeiten, angezweifelt werden.
Ich erlebe heute zum Teil Kinder und Jugendliche in Einrichtungen, auf der Straße und in meinem Umfeld (wir haben ja auch Praktikanten), die mich an die Jugendlichen im Heim erinnern … und die galten damals als verhaltensauffällig. Eltern, die alles entschuldigen oder den Erziehern und Lehrern die Schuld geben, sind in unserem Alltag an der Tagesordnung. Ich bin überzeugt, dass sich die Verrohung der Gesellschaft noch verschlimmern wird, wenn wir weiterhin eine solche Auffassung von Erziehung ›pflegen‹ werden. Und: Ich habe Angst, älter zu werden! Ich gehöre zu den sogenannten geburtenstarken Jahrgängen und fürchte mich, wenn ich einmal alt bin, vor den Kindern, die ich heute zum Teil im Kindergarten betreue.
Und zum Schluss: Wenn wir in unserer Einrichtung ein Einzelfall wären, würde ich um ein weit höheres Supervisionsbudget kämpfen oder schlussendlich die Konsequenzen ziehen und mein Arbeitsfeld wechseln. So ist es aber leider nicht. Große Teile der »Sozialszene« sind ausgebrannt, erschöpft und desillusioniert. Ich gebe Fortbildungen für Erzieher/Innen, und immer wieder werde ich gefragt, woher ich noch die Kraft habe, mich mit so etwas zu beschäftigen. Es macht mir Spaß, ich bin begeistert von dem, was ich da tue und vermitteln kann – so wie ich es früher in meinem ›normalen‹ Berufsleben auch war, und dann ist Arbeit nicht anstrengend. Wenn Sie aber immer wieder mit Eltern diskutieren müssen, warum jetzt diese oder jene Grenze im Alltagsleben eines Kindergartens ausgerechnet für ihr Kind gelten soll, ist das einfach nur noch zermürbend. Ich trage jeden Tag ein Höchstmaß an Verantwortung und ich könnte endlos Beispiele nennen, wo es ausschließlich um die Haltung geht ›wenn die Welt sich schon dreht, dann wenigstens um MEIN KIND und MICH‹.«
Die Welt soll sich also »um mein Kind und mich« drehen. Es ist kein Wunder, dass unter diesem Anspruch zuletzt sowohl Kinder als auch Erwachsene zusammenbrechen müssen.
Neues aus der Sparte »Wie Kinder gesehen werden«
Die beschriebenen Konzepte und Methoden im Kindergarten und später in der Schule entstehen natürlich nicht im luftleeren Raum. Sie resultieren direkt aus der Art und Weise, wie Erwachsene Kinder sehen. »Konzept Kind« habe ich das in Tyrannen müssen nicht sein genannt und dort die verschiedenen Konzepte beschrieben.
Die Entwicklung ist in den vergangenen Jahren nicht stehen geblieben. Kinder werden von Erwachsenen in zunehmendem Maße nach Erwachsenenmaßstäben beurteilt, selbst Menschen, von denen man es niemals annehmen sollte, verfallen in eine Art infantile Romantik, wenn sie über ihre eigenen Kinder sprechen, wie das folgende Beispiel zeigt.
Vor etwa einem Jahr war ich als Redner zu einer Veranstaltung eingeladen, auf der es darum ging, dass immer mehr Betriebe heute Schwierigkeiten haben, geeignete Auszubildende zu finden, weil diese den Ansprüchen der Unternehmen hinsichtlich solch grundlegender Dinge wie Pünktlichkeit, Genauigkeit oder Umgangsformen nicht annähernd entsprechen. Hier ging es also exakt um die Schwierigkeiten, die Gegenstand von Persönlichkeiten statt Tyrannen sind. Ich war insofern sehr erfreut über die Einladung und sah die Chance, mit meiner Analyse dort Gehör zu finden, wo neben Schule und Kindergarten auch Veränderungen angestoßen werden müssten, nämlich bei den Praktikern in den Betrieben.
Allerdings holte mich einer meiner Vorredner auf den Boden der Tatsachen zurück. Im Brustton der Überzeugung sagte er, es möge zwar hier und da Schwierigkeiten mit Jugendlichen ohne genaue Vorstellung von ihrer Rolle in der Berufswelt geben. Er selbst jedoch habe eine Tochter, die sich glänzend entwickle und bereits
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