SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
nur noch ums Geld zu drehen scheint, ist es sicher sinnvoll, sich über diese Zusammenhänge und ihre Konsequenzen für die Zukunft unserer Gesellschaft Gedanken zu machen.
Es stimmt: Bildung kostet Geld, sie bringt aber dem Staat auch einen erheblichen »return on invest«, wenn gut ausgebildete junge Menschen in guten Berufen gute Leistung bringen, wenn sie damit die Gesellschaft voranbringen und gleichzeitig ganz profan auch erhebliche Steuerleistungen erbringen.
Das ist eigentlich eine Binsenweisheit, die aber scheinbar nicht mehr im Blick ist, wenn man sich anschaut, wie konsequent das Bildungssystem mittlerweile den Kindern die Chance entzieht, sich zu emotional und sozial stabilen Erwachsenen zu entwickeln. Die Zahlen sprechen für sich: Gab es 1990 im Kindergarten noch zwei voll ausgebildete Erzieherinnen für zwanzig Kinder, so liegt das Verhältnis bis heute in den meisten Fällen eher bei fünfundzwanzig Kindern, für die eine Erzieherin und eine Kinderpflegerin mit geringerer Qualifikation zuständig sind. Personalabbau also bei mehr Kindern mit mehr Problemen. Das nenne ich Betrug am Kind durch den Staat.
Doch auch die Erziehungswissenschaftler verüben vielfach Betrug am Kind, indem sie häufig scheinbar »aus dem Bauch heraus« sehr konkrete Handlungsmodelle postulieren. Das ist zwar dann auch alles irgendwie wissenschaftlich, aber für mich als Mediziner ist es kaum nachvollziehbar, warum sich in der Pädagogik niemals die Vorstellung durchgesetzt hat, dass jede neue Methode zunächst einmal mit einer sogenannten Doppelblindstudie bestätigt werden muss.
In der Naturwissenschaft sind solche Studien Standard, und erst wenn diese ergeben haben, dass eine neue Methode positive Auswirkungen hat, darf der Forscher, der die Methode entdeckt hat, überhaupt dazu publizieren. Anders ausgedrückt: Wenn ein Mediziner eine neue Methode erfindet, kann er sie nicht einfach auf den Markt werfen. Er muss eine Langzeitstudie mit tausenden Patienten machen, einmal mit, einmal ohne seine Methode (daher Doppelblindstudie). Nur bei einem eindeutigen Beweis, dass die neue Methode besser ist als die bisherigen, kann sie flächendeckend eingeführt werden.
Sicher lassen sich naturwissenschaftliche Methoden nicht eins zu eins auf einen Bereich wie die Pädagogik übertragen. Trotzdem halte ich es für dringend notwendig, eine solche Form der Kontrolle von Forschung zu etablieren, da sonst weiter unkontrollierter Wildwuchs an Theorien, Modellen und Konzepten entsteht, der die Situation an Schulen, Kindergärten und weiteren Bildungseinrichtungen noch verschärft.
Es geht mir dabei nicht um ein starres Beharren auf wissenschaftlichen Vorgehensweisen, sondern darum, unsere Kinder vor weiteren Schäden durch eine mangelhafte Systematik der Erziehungswissenschaften zu bewahren. Diese Schäden sind bereits jetzt offensichtlich, wenn man das Modell vom »Kind als Partner« und seine Auswirkungen in der Praxis analysiert. Wenn Erwachsene Kinder nicht mehr als Kinder sehen, wie es eben heute zunehmend geschieht, ist es nicht verwunderlich, wenn sich Vorstellungen vom Unterricht herauskristallisieren, die sich kaum noch an entwicklungspsychologischen Erkenntnissen orientieren.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Wo sind die wissenschaftlich fundierten Untersuchungen, die beweisen, dass Gruppenunterricht dem klassischen Frontalunterricht überlegen ist? Und wer hat eigentlich bewiesen, dass die immer noch an vielen Schulen praktizierte Methode des Erlernens der Rechtschreibung per »Lesen durch Schreiben« tatsächlich, wie ursprünglich einmal behauptet, zu besseren Ergebnissen bei Aufsätzen geführt hat?
Die Idee stammt von dem Schweizer Pädagogen Jürgen Reichen, der auch die Bezeichnung »Lesen durch Schreiben« geprägt hat. In die gleiche Richtung geht auch der Ansatz der »Rechtschreibwerkstatt« des deutschen Pädagogen Norbert Sommer-Stumpenhorst sowie der »Spracherfahrungsansatz« von Hans Brügelmann. Alle Methoden eint die Annahme, dass Lehrer die Fehler der Kinder beim Erlernen von schriftsprachlichen Äußerungen zunächst einmal nicht korrigieren sollen, damit die Kinder mehr Freude am Schreiben bekommen und nicht durch das Erlernen der Rechtschreibung darin ausgebremst werden.
Diese Annahme mag richtig sein, berücksichtigt jedoch nicht, dass die Rechtschreibung dabei auf der Strecke bleibt. So ist in einer sehr ausführlichen Stellungnahme zu den genannten Modellen etwa Folgendes zu lesen:
»Etliche der
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