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Soucy, Gaetan

Soucy, Gaetan

Titel: Soucy, Gaetan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trilogie der Vergebung 02 - Die Vergebung
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große Abschnitte seiner Vergangenheit waren in Dunkel getaucht. (Die Erinnerung kehrte nur bruchstückhaft zurück, in eisigen, stechenden Stößen.) Er fragte sich, in welchem Alter Maurice seine Mutter verloren hatte. Dachte er an sie, wenn er im Internat war, rief er im Stillen nach ihr im dunklen Schlafsaal, in den Nächten, in denen die Erinnerung an die tags erlittenen Gemeinheiten, an das Hohngelächter der Kameraden, ihn daran hinderte, in den Schlaf zu sinken? Louis hätte gern den Mut gehabt, dem Kind zu begegnen wie einem anderen Ich, ihm einfache und wahre Dinge zu sagen, Dinge, von denen man sich später sagte, dass man sie selbst gern gehört hätte, tröstende Worte für den, der am Rand des Lebens steht und vor Schrecken bebt. (Aber hatte dieser Schrecken ihn selbst je verlassen?)
    Die Feder, die Louis noch immer in der Hand hielt, glitt ihm aus den Fingern, mit einem dumpfen Laut landete sie auf dem Parkett. Maurice erwachte aus seiner Träumerei. Verunsichert lugte er durch den Spalt im Vorhang und entdeckte Bapaume. Er rückte seinen Stuhl so zurecht, dass er ihm den Rücken zuwandte. Geneviève kam mit der Suppe und den belegten Broten.
    Maurice scherte sich nicht um den Löffel und trank direkt aus der Schale. Noch ganz durchwirkt von den Unbefangenheiten der Kindheit, steckte er in seinem Körper wie in einem zu großen Kleidungsstück. Er stopfte das Essen ohne Hintergedanken in sich hinein, mit stiller Gier, nach der Art von Hunden oder kleinen Jungen. Geneviève hatte sich neben ihn gesetzt und schaute ihn lächelnd an. Sie schob ihm liebevoll die Haarsträhne zurück, die ihm immer wieder in die Stirn fiel.
    Auf der Außentreppe hörte man jemanden rennen. Es klingelte an der Tür. Louis’ Blick reichte nicht bis zum Vorzimmer. Er spitzte die Ohren. Er nahm jedoch lediglich ein Gewirr von Stimmen wahr. Geneviève kam bald darauf zurück:
    »Sie haben die Tochter des Küsters gefunden.«
    Ein Mann erschien hinter ihr. Schon schnappte sie sich ihren Umhang und ihren Schal aus Kanin. Maurice schlang in aller Eile seine Suppe hinunter und wischte sich mit der flachen Hand den Mund ab.
    »Sie haben sie in einer Gletscherspalte hinter den Felsen gefunden. Wird einige Zeit dauern, sie zu bergen.«
    Bapaume kam aus dem Wohnzimmer:
    »Sie lebt?«
    Geneviève schaute ihn streng an, so als ginge ihn die Angelegenheit nichts an. Aber die Frage war schließlich doch berechtigt, und sie sagte schlicht:
    »Man weiß es nicht.«
    Der alte von Croft tauchte auf dem oberen Treppenabsatz auf. Er wandte sich an den Mann:
    »Wo ist der Küster?«
    »Im Pfarrhaus. Sie konnten ihn davon überzeugen, dass er besser nicht hingeht.«
    Der Alte ergriff einen dicken silbernen Pelz, der am Kleiderhaken hing.
    »Ich gehe zu ihm und werde mit ihm warten. Und du«, sagte er zu seinem Sohn, der im Begriff war, seinen Mantel zuzuknöpfen, »du bleibst hier. Die Hunde sind müde, du musst daran denken, sie zu füttern. Und außerdem können wir Monsieur nicht allein im Haus lassen. Seien Sie versichert, es ist nicht aus Misstrauen, sonderneine Frage des Anstandes, Sie verstehen«, fügte er zu Bapaume gerichtet hinzu, der erblasst war.
    Maurice kehrte grummelnd zu seinem Teller zurück.
    »Ich werde zu Fuß gehen, das wird mir guttun«, sagte Robert von Croft zu seiner Tochter.
    Louis bedauerte es, der Grund zu sein, der Maurice daran hinderte, sich zu den anderen im Dorf zu gesellen, das brachte den Jungen gewiss gegen ihn auf. Er verspürte darüber hinaus ein Unbehagen, unbeabsichtigt einem Unglück beizuwohnen, das ihn nicht betraf. Alles um ihn herum war geschäftig, ohne sich um seine Person zu kümmern. Schickte es sich für ihn, auch zu dem Gletscher zu laufen, für den Fall, dass man dort jede zusätzliche Hand gebrauchen konnte? Sollte er zumindest seine Hilfe anbieten? Aber da Julia in der Zwischenzeit zurückkehren könnte, würde er auf diese Weise dem Beweggrund seines Besuches zuwiderhandeln und diesen dadurch umso ungerechtfertigter erscheinen lassen … So stand er dort, mitten im Raum, dümmlich und schamlos, hinderlich wie ein breites Möbel.
    »Ich sage es dir noch einmal, Julia, ich möchte lieber laufen«, sagte der alte Mann.
    »Er verwechselt uns immer noch, auch nach achtundzwanzig Jahren!«, seufzte Geneviève.
    Louis begleitete sie bis zur Türschwelle. Das Dorf schien sich auf einen Schlag wieder bevölkert zu haben. In der Ferne strömten aus allen Häusern Menschen, vor allem Frauen. Man rief

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