Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Soucy, Gaetan

Soucy, Gaetan

Titel: Soucy, Gaetan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trilogie der Vergebung 02 - Die Vergebung
Vom Netzwerk:
waren neu gestrichen worden in fruchtigen Farben, es gab Spieluhren, Spitzendeckchen, weiche Sessel, Nippfiguren, zerbrechlich wie die Finger kleiner alter Frauen. Durch die Vorhänge mit üppigem Besatz tanzte ein feiner Staub in den Sonnenstrahlen und warf Funken wie Feenpupse. Louis hielt kurz Ausschau nach dem Klavier. Er ent sann sich, dass es im Wohnzimmer gestanden hatte, auf der anderen Seite des Wandbehangs.
    Auf der Anrichte, zwischen Buchstützen in Form von Wolfsmäulern, eine Bibel und Schulbücher. Auch ein Lateinbuch, aufgeschlagen mit der Schrift nach unten, als hätte man es soeben beiseitegelegt.
    »Ihr Sohn lernt Latein?«
    Noch mit vollem Mund gluckste von Croft sarkastisch.
    »Er ist im Internat, hier im Dorf, bei den Brüdern von der Christlichen Erziehung. Er ist über die Feiertage bei uns. Kümmern Sie sich nicht um ihn. Er ist ein Strolch.«
    Mit der Zungenspitze löste er die Essensreste vom Zahn fleisch. Er gluckste weiter, mit funkelnden Augen, freudiger Miene, als genösse er einen guten Witz oder vergegenwärtigte sich seine Jugendstreiche. Geneviève kam unvermittelt zurück, unter einem nichtigen Vorwand, wieeine Figur in einem Possenstück, die im Nebenzimmer ihre Ungeduld nicht mehr zügeln kann.
    »Zeit für Ihren Mittagsschlaf, Papa! Mein Vater ist alt, man darf ihn nicht zu sehr erschöpfen.«
    »Ich komme später wieder«, sagte Louis und erhob sich.
    Der Alte wandte ein, dass es zu kalt sei und dass er im übrigen im Dorf nirgends hingehen könne.
    »Sogar die Kirche ist geschlossen! … Nein, bereiten Sie mir die Freude, Monsieur Bapaume. Ich habe meine Tochter gebeten, das Wohnzimmer für Sie herzurichten. Sie werden dort ungestört sein. Auf dem großen Diwan können Sie sich ausruhen, wenn Sie möchten. Ohnehin werde ich nicht länger als eine Stunde schlafen. Fühlen Sie sich wie zu Hause! Sie können auch Klavier spielen, das stört uns nicht, vorausgesetzt, mein kleiner Strolch hat es nicht zu sehr verstimmt.«
    Louis, der sich hinuntergebeugt hatte, um sein Gepäck zu nehmen, fuhr hoch:
    »Er ist Musiker?«
    Von Croft gluckste erneut und zog die Schultern hoch.
    »Sie machen mir Spaß! …«
    Der Alte stieg, sich ans Geländer klammernd, die Treppe hinauf. Sein Huf klopfte auf den Boden wie der Stock im Theater, bevor das Schauspiel beginnt.
    * * *
    Geneviève geleitete Louis zum Wohnzimmer. Ihre Art, ihr Benehmen, ihr Tonfall ließen durchscheinen, dass sie nur auf Anweisung handelte, und wenn es nach ihr ginge …
    Bei den bekritzelten Noten, die sich auf dem Klavier stapelten, hielt Bapaume inne.
    »Mein Bruder singt im Schulchor«, erklärte sie trocken. »Aber ich weiß nicht, ob es ihm gefallen würde, dass Sie in seinen Notenblättern wühlen.«
    Er zog die Hand zurück, als hätte er einen glühenden Gegenstand berührt.
    »Ich empfehle mich, Monsieur. Ich habe zu tun.«
    Louis ließ sich auf den Klavierhocker fallen. Er war zum ersten Mal an diesem Tag wieder allein, und für einen Mann wie ihn, gierend nach Einsamkeit, war es, als habe er drei Nächte nicht geschlafen. Das Zimmer war kühl, mit schweren Vorhängen verdunkelt. Nach der Überfülle an Helligkeit tat ihm auch das gut. Er näherte sich den mit Bleistiftanmerkungen versehenen Noten. Ein Chorstück a cappella, kontrapunktisch, in barockem Stil. Er studierte die drei Blätter, die auf dem Notenhalter ausgebreitet waren. Je länger er las, je mehr er des Verständnisses und der Ausgewogenheit der Perspektive gewahr wurde, umso heftiger pulste sein Blut. Er schaute sich um, fürchtete vielleicht, überrascht zu werden, dann hob er die Blätter hoch und las auf den Seiten weiter, die dahinter lagen. Wer hatte das nur komponiert? Louis stockte der Atem. Er wühlte in den Noten, wütete durch die Hefte wie ein Einbrecher, der die Kissen aufschlitzt auf der Suche nach dem Familienschmuck. Aber nichts zu machen, die Aufzeichnungen endeten abrupt nach der siebten Seite.
    Louis schaute ins Leere, entgeistert. Das also war es, womit sich der junge Maurice beschäftigte! … Er las noch einmal, wollte seinem Herzen nicht trauen. Die Abschrift selbst, die Musikzeichen waren mit sicherer, gestählterHand niedergeschrieben, mit einer geometrischen Klarheit, das Ergebnis hatte das funkelnde Wesen eines Mozartschen Manuskripts. Und die feinen, verständigen Anmerkungen bekundeten ein wirkliches Erfassen dieses kontrapunktischen Wunderwerks! Bapaume musste sich die Stirn mit den Händen halten, von Schwindel

Weitere Kostenlose Bücher