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Soucy, Gaetan

Soucy, Gaetan

Titel: Soucy, Gaetan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trilogie der Vergebung 02 - Die Vergebung
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einander zu, bewertete die letzten Gerüchte. Alle rannten in Richtung des Fjords.
    Eine Frau lief nicht, sie näherte sich langsam. Es war die Dame, die er aus dem Laden hatte kommen sehen.
    »Machen Sie die Tür zu!«, rief Geneviève. »Wir heizen nicht für draußen!«
    Louis fuhr auf wie ein Mann, den man aus dem Schlaf reißt. Er ging unverzüglich wieder hinein, von Schaudern überlaufen.
    * * *
    Maurice hatte sein Mahl beendet und brütete im Sessel sitzend wieder über seinem Lateinbuch. Vorgebeugt, mit geblähten Nasenflügeln, kaute er an einem Zimtpfannkuchen. Bisweilen bewegten sich still seine Lippen. Er blies die Krümel fort, die ihm zwischen die Seiten fielen. Kein einziges Mal hob er die Nase aus seinem Buch. Er tat, als wäre Bapaume gar nicht da.
    Louis wusste nicht, wie er an ihn herantreten sollte, und wie bei jenen Briefen, auf die man zu lange schon nicht geantwortet hat, schien ihm, je mehr Zeit verstrich, jeder Schritt in diese Richtung noch unpassender. Er hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und knibbelte zerstreut die Wachsplättchen vom Kerzenständer.
    »So, du interessierst dich also für Musik?«
    Er hatte sich entschlossen, den Knaben weiterhin zu duzen, um auf gut Freund zu tun. Es klang jedoch derart falsch, dass seine eigene Stimme ihn betrübte. Das war wieder ganz er! Das Duzen war ihm nie geglückt, und das in einem Land, in dem alle Welt duzt!
    »Von wem sind denn die Noten, die ich vorhin auf dem Klavier gesehen habe?«
    Maurice verzog den Mund, als habe sich ihm die Frage noch nie gestellt.
    »Weiß ich nicht. Von Bruder Decelles wahrscheinlich. Er ist Chorleiter im Internat. Wir müssen das für ihn lernen.«
    »Das ist eine wunderbare Musik.«
    »…«
    Bapaume vermutete, dass sich hinter der scheinbaren Gleichgültigkeit eine Scham verbarg, über das zu reden, was ihm am teuersten war.
    »Würdest … würdest du mir erlauben, sie mir einmal genauer anzusehen?«
    »Wenn Sie Lust dazu haben.«
    Der Junge steckte die Nase wieder ins Buch. Louis ging ins Wohnzimmer, um die Noten zu holen. Er sagte über seine Schulter hinweg:
    »Oh! Aber ich sehe gerade, da fehlen ein paar Seiten! … Es sind nur sieben.«
    »Weiter haben wir das Stück noch nicht gemacht«, warf Maurice zurück und schnüffelte, der Versuchung nicht widerstehend, verstohlen am Steg seines Buches.
    Bapaume, der es gesehen hatte, kam zurück und setzte sich an den Tisch. Er bemerkte, dass Maurices Bein von einem dauernden nervösen Zittern heimgesucht war.
    »Hast du die Anmerkungen gemacht?«
    »Bitte?«
    »Die Anmerkungen auf den Noten, sind die von dir?«
    Er wies mit dem Zeigefinger darauf, da der Junge nicht zu verstehen schien.
    »Das da? Nein. Das war Bruder Decelles. Ich habe meine Noten verloren. Er hat mir über die Feiertage seine geliehen.«
    »Ah.«
    Bapaume hütete sich, seine Enttäuschung durchscheinen zu lassen. Er breitete die Blätter vor sich aus und tat, als läse er darin. Seine Blicke indes richteten sich unwillkürlich zur Treppe. Er fragte sich, ob in den Zimmern im oberen Stock Veränderungen vorgenommen worden waren. Auf der Schwelle zu Julias Zimmer wich seine Vorstellung zurück und machte mit einem Schaudern kehrt, wie der Fisch vor der Scheibe des Aquariums. Er gab sich Mühe, sich auf die Noten zu konzentrieren, aber er war mit dem Herzen nicht mehr dabei. Es gab Augenblicke, in denen selbst die Musik ihm zur Last wurde. Sie schien ihm nur eine weitere Täuschung, aufgeplusterte Abzählverse, die ängstliche Kinder im Dunkeln vor sich hin singen.
    Maurice gähnte wie eine Schlange, lang und träge, dann, als er Bapaumes Blick sah, der auf ihn geheftet war, wurde er verlegen und warf brüsk das Buch auf den Tisch.
    »Wohin gehen Sie?«
    »Die Hunde füttern.«
    Bapaume fiel nichts ein, womit er ihn hätte zurückhalten können. Der Junge ging um das Haus herum und lief am Fenster vorbei. Seine Schritte knirschten im trockenen Schnee. Die Hunde begrüßten ihn lauthals kläffend.
    Louis kehrte in das Wohnzimmer zurück, um die Bögen einzusammeln, auf die er geschrieben hatte. Er nahm ein leeres Blatt und schrieb, als sei von jemand anderem die Rede: Dieser Junge, dieser Sohn, mit dem er fühlte, so viel gemeinsam zu haben – er wusste, dass die Unmöglichkeit, seinen Panzer zu durchbrechen, eben darin bestand, dass er über eine ähnliche Sensibilität verfügte wie er. Die Liebe, die er ihm zugedachte, tauchte ihn, so tief war sie, in eine Art ekstatische Schläfrigkeit,

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