Soucy, Gaetan
Abgrund Deines Kummers hinabzieht.
Du lebst nur noch durch meine Musik, sagtest Du mir, und ich habe es geglaubt – Gott!, wie habe ich es geglaubt! Ich stürzte mich in dieses Oratorium mit einem Stolz, der an Wahn grenzte. Ach!, was für eine Verheißung! Es würde uns retten, nichts weniger als das, uns vor der Vorsehung und vor den Menschen rechtfertigen, uns von allem finanziellen Elend reinwaschen, un sere Armut verklären! … Doch am Ende von alledem begriff ich mit einer Gewissheit, die keine Widerrede duldet, dass das einzig Große an diesem Magnificat, wie Du es nanntest, meine Anmaßung war. Jetzt spüre ich mich meinerseits abgeschnitten von jedem Quell, von allem Leben, es ist schrecklich, das Ausmaß meiner Verlassenheit zu ermessen. Wie konnte ich mich so sehr täuschen, wie konnte mich diese pompöse Musik so lange über ihren wahren Wert hinwegtäuschen? Ich dachte, ich fieberte vor Inspiration, berührt vom Zeigefinger Jah wes, überkochend vor Schaffensdrang, während ich nichts als ein Kranker, ein armer Spinner war, der nicht die lächerlichen Ergebnisse seiner Wallung erkennt. Ich war wie jene alten Frauen, die sich die Wangen mit Farbe bemalen, sich blonde Perücken aufsetzen, sich gebaren, sich herausputzen, als wären sie zwanzig, und die in ihrer erbarmenswerten Torheit denken, dass die verwunderten Blicke nach ihnen Blicke der Bewunderung seien.
Vergib mir, unter der Last dieser Aufgabe wie ein Ei zerplatzt zu sein. Vergib mir, alle Mängel eines Mannes von Talent in mir zu vereinen, ohne das Talent!
Und Du warst mir in dieser Unvernunft Komplizin, meine arme Françoise. Oh! gewiss, eine unfreiwillige Komplizin. Ich hätte erkennen müssen, dass der Schmerz auch Dich in die Irre geleitet hatte. Aber wie soll ich es Dir erklären, ohne Dich noch tiefer zu verletzen, indem ich die Hellsichtigkeit Deines musikalischen Urteils in Frage stelle, das doch so sicher ist? Sollte mir irgendeine unbegreifliche Gnade geschehen, mir unverhofft Erbarmen und Gerechtigkeit wieder zuteil werden, ja sollte ich in mir wieder den geringsten Ruf, den geringsten Akkord, die geringste Note hören, als ein Zeichen von oben, dass ich weitermachen kann, weitermachen muss mit dem Komponieren, ich schwöre Dir, ich würde es tun – oh!, glaube mir, ICH WÜRDE AUF DIE KNIE FALLEN, MIT AUSGEBREITETEN ARMEN, DAS GESICHT ZUM HIMMEL!
Doch bezweifle ich, dass so etwas noch möglich ist. Ich sage das nicht mit Gleichgültigkeit, nein, im Gegenteil. Allein bei dem Gedanken daran, nicht mehr zu komponieren, bei dem Gedanken an ein Leben, das gänzlich abgeschnitten ist von der Hoffnung, die im Schaffen liegt, verspüre ich dasselbe Entsetzen, als wenn ich irrtümlich begraben, in einem Sarg eingeschlossen, erwachte. Wenn für mich noch die geringste Aussicht auf Rettung besteht, so liegt sie in dem, was ich hier in Saint-Aldor tun möchte. Übrigens weiß ich ganz und gar nicht, wohin mich, was ich mir vorgenommen habe, führen wird. Vielleicht werde ich hier etwas finden, das ich gar nichtge sucht habe. Vielleicht werde ich etwas finden, das ich suchte, ohne es zu wissen. Wie dem auch sei. Dies ist meine letzte Chance. Wenn es zu meiner Vernichtung führt, so ist dies mein Pech – oder vielmehr Glück! Es gibt für jeden Menschen eine Grenze, über die hinaus man nicht mehr von ihm verlangen kann, der Erde zur Last zu sein.
In der Ferne war ein verworrenes Klirren aus Schellen und Ketten zu hören, ein Keuchen. Ihre Augen nahmen denselben fragenden Blick an. Geneviève erhob sich und verschwand in Richtung des Esszimmers. Der junge von Croft kehrte mit seinen Hunden zurück.
* * *
Louis verblieb im Wohnzimmer, als würde er dort wie ein Gefangener gehalten. Er schob leicht den Vorhang beiseite und sah Maurice am Tisch sitzen, wie er langsam durch sein Lateinbuch blätterte. Wie ein Motiv für ein Gemälde. Alle Düsternis der Welt, die Finsternis des Unwissens, der Einsamkeit, des Elends, wurden verdrängt von dieser einen Kerze: ein Kind, über ein Buch gebeugt. Das Waisenkind und sein Spiegel . Zu seinen Füßen hätte Louis eine Viola da gamba gemalt.
Der Junge hatte den Blick von seinem Buch abgewandt, und die plötzliche Traurigkeit in seinem Gesicht, die vielleicht nur Langeweile war, legte einen Schatten in Louis’ Herz. Er versuchte sich die Gedanken in Erinnerung zu rufen, über die er mit fünfzehn nachgesonnen hatte. Doch seit einigen Monaten ergoss das Vergessenkrakengleich seine Tinte über ihn, und
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