Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
Zehen.
Warm?
Ich sehe hinunter zu meinen Füßen. Sie stehen auf meinem IKEA-Teppich.
Jetzt ist der Bildschirm wie eingefroren. Ich sehe nur noch Hellbraun. Ist die Seite abgestürzt?
Als ich die Maus bewege, kehrt das Blau zurück.
Aha. Wie es aussieht, war ich in den Sand gefallen, mit dem Gesicht voran.
Als ich mich wieder aufrappele, erscheint am Rand meines Blickfelds eine Staubwolke. Schnell presse ich die Lippen aufeinander, damit ich nichts davon in den Mund bekomme.
Äh, klar. Weil man sich über virtuellen Sand auch ernsthafte Sorgen machen muss, ganz im Gegensatz zu galoppierendem Irrsinn.
Ich laufe weiter und suche nach einem Ausweg. Mit einem Mal fühle ich mich wie erstickt von all dieser Perfektion. Das hier ist nicht der Himmel. Vielleicht ist es die Hölle. Oder ein Virus, der meinen Computer infiziert hat: der Club-Tropicana-Virus. Dad flippt aus, wenn dieses Ding meine Festplatte schrottet. Den Laptop habe ich ja gerade erst zum Geburtstag bekommen.
Mein Geburtstag. Meggies Todestag.
»Das kann ich jetzt echt nicht gebrauchen, absolut nicht«, sage ich und merke, dass ich weine. »Nicht noch zusätzlich zu all dem anderen Mist.«
Das Rauschen der Wellen verändert sich.
Nein.
Das kann nicht sein.
Ich halte mein Ohr an den miesen Lautsprecher meines Laptops und dann höre ich es richtig. Irgendwo unter den Wellen ist eine Stimme. Leise. Ängstlich. Kaum wahrnehmbar. Aber sie ist da.
»Florrie? Bist du das endlich? Oh bitte, du musst es einfach sein …«
11
»Meggie?« Ich flüstere ihren Namen, kann einfach nicht glauben, dass sie es ist.
Keine Antwort. Vielleicht habe ich nicht laut genug gesprochen. Ich rücke näher an das Mikro meines Laptops. »Meggie?«
»Florrie …« Nicht lauter als ein Murmeln. Sie klingt anders. Ausdrucksloser, weniger lebendig, gar nicht wie meine Schwester. Wieder schießt mir die Möglichkeit, dass sie nur eine Betrügerin ist, dass das Ganze nichts als ein kranker Witz ist, durch den Kopf wie eine Kugel durch den Flipperautomaten, aber ich schiebe den Gedanken beiseite. Niemand würde sich so viel Mühe machen. Das wäre zu verrückt.
Verrückter als über eine Website mit Toten zu kommunizieren?
»Bist du wirklich da, Meggie?«
»Klar. Ich dachte schon, du würdest nie hier auftauchen.«
Das klingt schon eher nach ihr. »Wo bist du, Meggie?«
Jetzt höre ich einen sehr meggietypischen Seufzer. »Ach, Mist. Dann hatten sie also recht.«
»Sie?«
»Die anderen. Sie meinten, du könntest uns am Anfang nicht sehen.«
»Ich sehe nur einen leeren Strand.« So leer, dass ich mir vorkomme wie am Ende der Welt.
»Komisch. Dabei sind heute Morgen so viele von uns hier. Links von dir machen die Philosophen ein Picknick. Und die Emos hocken auf dem großen Felsen und überlegen, ob sie springen sollen. Na ja, wenn sie’s tun, treiben sie eh nur wieder an die Wasseroberfläche wie lebensmüde Rettungsbojen. Was sie natürlich umso mehr anpisst.«
Emos? Picknicks? Tausend Fragen wirbeln mir durch den Kopf. Ich fange mit der wichtigsten an: »Wo bist du denn?«
»Direkt neben dir. Ich berühre deine rechte Hand.«
Ich sehe hinunter auf meine Hand, die sich um die Maus klammert. »Ich fühle gar nichts.«
»Na, wie denn bitte auch? Du bist auf einer Website, schon vergessen?« Das klingt jetzt so sehr nach großer Schwester, dass ich grinsen muss.
»Wo bist du jetzt, Meggie?«
»Ich hab mich nicht bewegt.«
»Nein, ich meine: Wo bist du? Wo ist … das alles hier?«
Ein tiefer Seufzer dringt aus meinen Lautsprechern. Auf dem Bildschirm bricht sich eine riesige Welle am Strand und ich meine, einen kurzen Blick auf eine menschliche Silhouette davor zu erhaschen, im nächsten Moment aber löst sie sich auf wie ein Hauch von Meeresgischt.
»Du bist immer noch genau so wie mit vier. Warum muss der Mann im Mond nie blinzeln? Wieso ist Käse gelb, wenn Milch doch weiß ist? Warum haben Menschen keine Flügel? Also, ich habe keinen blassen Schimmer, wo ich hier bin. Die Philosophen diskutieren natürlich andauernd darüber, aber das entspricht nicht gerade meiner Vorstellung von Spaß.«
»Kann es sein, dass du im Himmel bist?«
Ich weiß, das ist Blödsinn, aber ich schwöre, ich kann ihren Atem an meinem Hals spüren, als sie lacht. »Vielleicht. Eine Art Paradies ist es auf jeden Fall. Wir witzeln immer, dass der ganze Laden wahrscheinlich irgend so einer kitschigen Ferienanlage für Hochzeitsreisende nachempfunden ist. Danny war schon so ziemlich
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