Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
Schwer zu sagen, wie spät es dort gerade ist, aber ich schätze mal, ungefähr vier Uhr morgens. Am Horizont wird es schon langsam hell, doch die Körper am Strand liegen noch immer zusammengesunken da und selbst die Wellen scheinen mir Schhhhschhhh zuzuflüstern.
Niemand regt sich, als ich vorbeigehe. Die meisten können mich ja sowieso nicht sehen. Als ich mithilfe der Maus beschleunige, werden meine Schritte schneller, meine Sohlen schlappen durch den Sand und schließlich fange ich an zu keuchen – es fühlt sich wirklich an, als bekämen meine Lungen immer weniger Luft, je schneller ich werde. Mir fällt wieder ein, was Meggie gesagt hat: dass der Strand nirgendwo aufhört, dass niemand je das Ende gefunden hat.
Schließlich entdecke ich Danny, halb liegend, halb sitzend an eine der Strandhütten gelehnt. Seine Schultern hängen und seine Augen sind geschlossen. Die Bilder von ihm im Smoking und von seinem Flugzeug, das zertrümmert in der Wüste liegt wie ein platt gequetschtes Insekt, schießen mir wieder durch den Kopf und der Kontrast ist so schockierend, dass ich wegsehen muss. Ich schleiche mich auf die andere Seite der Hütte, wo Triti und Javier Arm in Arm schlafen. Er ist groß und schlank und sie so winzig, aber irgendwie sehen sie beide aus wie kleine Kinder, die Münder leicht geöffnet. Was ist geschehen, das seine Familie so vollkommen zerstört hat?
Dann werfe ich einen Blick in die Hütte, durch den Spalt zwischen der Tür und dem Bambusrahmen.
Sie ist allein, ein Bettlaken halb um den Körper gewickelt. Seltsam. Ich habe Meggie schon tausendmal nackt gesehen, habe mit ihr gebadet und meine Sommersprossen mit ihren verglichen (unzählige bei mir, höchstens ein Dutzend bei ihr). Aber das hier fühlt sich falsch an. Als würde ich ihr nachspionieren.
Ich stelle den Laptop auf Stand-by und schlüpfe in meine Kleider vom Vortag. Währenddessen versuche ich mir gut zuzureden: Wenigstens ist sie noch da. Wenigstens kann ich noch mit ihr reden. Vor ein paar Augenblicken dachte ich schließlich noch, ich wäre ganz aus dem Paradies verbannt worden, also sollte ich froh sein.
Aber nichts davon hebt meine Laune. Ich wünschte …
Ich versuche, den Gedanken zu verbannen, aber es ist zu spät. Manchmal wünschte ich einfach, ich wäre auch tot, dann würde ich mich zumindest nicht so ausgeschlossen fühlen.
29
Die Nachricht von Tims Freilassung geistert durch die ganze Schule.
Schon als ich durch das Tor gehe, spüre ich, wie mich alle anstarren, und als ich das Gebäude erreiche, habe ich so viel Aufmerksamkeit auf mich gezogen, dass ich rasch nachsehe, ob ich nicht vielleicht vergessen habe, meine Jeans anzuziehen.
»Alice!« Cara drängt sich durch den überfüllten Gang und umarmt mich. Ich winde mich los, obwohl ich mich an ihrer Seite weniger beobachtet fühle. »Ich habe das mit Tim gehört. Du brauchst doch jetzt sicher einen Kaffee.«
»Ich bin aber jetzt schon spät dran.«
»Ach, scheiß drauf, heute lassen dir die Lehrer sowieso alles durchgehen. Das solltest du ausnutzen, Süße.«
Bevor ich protestieren kann, schleift sie mich mit in den Aufenthaltsraum, der leer ist, weil alle, die so früh auf sind, Unterricht haben. Cara macht mir einen Kaffee. Als ich einen Schluck davon trinke, schmeckt er nach Schnaps.
»Igitt!«
»Rein medizinisch«, erklärt sie. Caras Mutter besitzt eine dieser Hausbars, in der die Drinks nie ausgehen. »Und außerdem haben wir gleich Geschichte. Um das zu überstehen, brauche ich schon an einem normalen Tag was zur Stärkung.«
Ich trinke noch einen Schluck. »Ich weiß die Unterstützung wirklich zu schätzen, aber das schmeckt einfach nur widerlich.«
Cara schnuppert an ihrer Tasse, probiert und zieht eine Grimasse. »Mist, hast recht. Tja, dann sind wir wohl doch noch nicht komplett dem Alkohol verfallen, was?« Sie schnappt sich die Tassen, marschiert zur Spüle und kippt den Inhalt in den Ausguss.
Dann setzt sie sich wieder hin und kramt eine Schachtel Schokokekse aus ihrer Tasche. »Plan B.« Sie stapelt den Inhalt zu einem großen Haufen vor mir auf dem Tisch auf. »Der schiefe Turm von Schokosa. Wir dürfen erst zu Geschichte, wenn wir alle aufgegessen haben, okay?«
Ich nicke.
»Meinst du immer noch, Tim ist unschuldig?«, fragt sie.
Ich drehe den Spieß um. »Und du?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Er ist mir jedenfalls nie wie ein Mörder vorgekommen, aber ich bin zugegebenermaßen auch nicht die weltgrößte Expertin, was den
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