Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
Charakter von Männern angeht. Eigentlich fand ich ihn eher langweilig. Vielleicht ist er ja insgeheim furchtbar jähzornig und keiner von uns hat es mitgekriegt. Immerhin hat er ja mehr oder weniger rote Haare, oder? Es heißt ja immer, das sind die Schlimmsten. Vielleicht hat er es getan, ohne es zu wollen.«
Nein. Nicht Tim. »Vielleicht.«
»Du klingst ja nicht gerade überzeugt. Hast du etwa jemand anderen im Verdacht?«
»Nur, weil ich ihre Schwester bin, heißt das noch lange nicht, dass ich weiß, wer sie getötet hat, Cara. Ich hab keinen sechsten Sinn oder so was.«
Sie seufzt. »’tschuldige.«
»Es ist nur … Alle denken bloß daran, wenn sie mich sehen. ›Ach, guck mal, da ist Alice. Oh, ist das nicht schrecklich, was da passiert ist? Die arme Meggie, sie war ja so talentiert.‹ Als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, als sie noch am Leben war – ›Komm, sing uns was vor, Meggie. Alice, du kannst ja dazu tanzen‹ –, aber jetzt ist es einfach unerträglich.« Und dann wird mir klar, wie das klingen muss. »Oh Gott. Bin ich ein Biest.«
Cara nickt und isst einen halben Keks, bevor sie etwas sagt. »Ich hab nur gefragt, weil du letztens im Pub noch gesagt hast, wie sehr es dich wurmt, dass niemand mehr über Meggie redet.«
»Oh.« Da hat sie recht. »Tut mir leid.«
»Nein, mir tut’s leid. Das heute ist eine Ausnahme, Alice. Klar, es wird immer solche Gelegenheiten geben, bei denen die Leute an nichts anderes denken können. Aber wenn Tim es wirklich war, dann werden sie ihn früher oder später kriegen. Und dann kommt er ins Gefängnis und du kannst wieder ein ganz normales Leben führen. Dabei fällt mir ein, hast du dich jetzt schon an irgendeiner Uni beworben?«
Ich nehme mir auch einen Keks. Ich habe nicht gefrühstückt und so langsam wird mir etwas flau im Magen. Aber der Keks schmeckt wie Pappe. »Nein. Vielleicht sollte ich einfach nach Greenwich gehen, wie Meggie.«
»Damit du noch mehr Paranoia schieben kannst, weil du meinst, die Leute denken dauernd an deine Schwester?« Cara schüttelt den Kopf und steht dann auf. »Manchmal stehst du dir echt selbst im Weg. Ich komme damit klar, ich bin deine beste Freundin. Aber das ist nicht bei jedem so …«
»Hat irgendwer was zu dir gesagt?« Ich frage mich, ob sie wohl Robbie meint. »Etwa Robbie?«
»Nein. Dafür ist er dir viel zu treu ergeben. Aber das bedeutet nicht, dass er nicht manchmal angepisst ist, Alice. Und glaub ja keine Sekunde lang, dass die Sache mit Megan andere Mädchen davon abhält, ihre Krallen in ihn zu schlagen. Ich hab so was gehört von wegen, die Jagd auf ihn sei wieder eröffnet, weil du ihn ja so mies behandelst.«
Sie wartet meine Reaktion ab. Ich fühle rein gar nichts. »Danke für die Warnung, Cara.« Ich stehe auf. »Wenn wir jetzt nicht zu Geschichte gehen, können wir’s auch gleich ganz sein lassen.«
Sie greift nach meiner Hand. »Verlass mich nicht, Alice. Bitte . Ich habe das Gefühl, als würdest du mir entgleiten.«
Ich starre sie an. »Sei nicht bescheuert, Cara. Ich hab schon genug am Hals, auch ohne dass du so einen theatralischen Quatsch von dir gibst.« Dann stürme ich aus dem Aufenthaltsraum, seltsam aufgedreht durch den Zucker. Sie hat recht, das weiß ich. Dass ich Robbie an irgend so eine aufdringliche Tussi aus der Stufe unter uns verlieren werde. Aber ich glaube, es macht mir nicht mehr genug aus, um es zu verhindern.
Irgendwie schaffe ich es, die Schule zu überstehen, das Getuschel zu ignorieren, und dann gehe ich nach Hause.
Der Himmel ist heute so grau, dass er direkt ins Straßenpflaster überzugehen scheint, und die feuchte Luft pappt mir das Haar in den Nacken. Ich sehne mich nach Farben, nach dem Blau und Gold von Soul Beach, nach Sonne und salzigen Meeresbrisen, die alles Ekelhafte, Klebrige davonwehen. Wenn das nicht tatsächlich der Himmel ist, dann ist es zumindest verdammt nah dran. Plötzlich bin ich genervt von Meggie. Was ist bitte schön so schlimm an ewiger Glückseligkeit?
Okay, allzu viel Gutes wird einem vielleicht auch irgendwann langweilig, aber wenn man die Wahl zwischen dem Fegefeuer und einem tropischen Paradies hätte, würden die meisten von uns wohl nicht lange überlegen. Typisch Meggie, immer was zu meckern.
Da, jetzt ist es heraus. Meggie konnte manchmal eine ziemliche Nörglerin sein.
Der Tod bügelt die Charakterschwächen der Leute aus. Meggie war schön und talentiert, großzügig und witzig. Niemand konnte ihrem Charme
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