Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
Binnen Sekunden war das Ganze vorbei, vertagt, bis der Mörder gefasst würde. Dad ist allein hingegangen und die Fotos, die sie dort von ihm gemacht haben, sind das Schrecklichste, was ich je gesehen habe. Er sieht aus wie ein Geist.
»Aber das ist doch gut, oder?«, sage ich zu Lewis.
»Na ja, so gut eben irgendwas sein kann, wenn einem die Tochter wegstirbt. Aber noch seltsamer ist, dass du überhaupt davon erfahren hast. Es ist ja nie darüber berichtet worden, weder in den Zeitungen noch im Fernsehen. Ich hab überall gesucht. Offiziell war sie nur ein Teenager, der eines natürlichen Todes gestorben ist. Nichts Außergewöhnliches. Also, wie hast du davon gehört?« Er wartet darauf, dass ich etwas sage.
»Vielleicht … vielleicht hat es in einer Zeitung gestanden, die keine Webseite hat?«, schlage ich zaghaft vor.
Lewis lächelt nicht. »Oder vielleicht hast du mir nicht alles gesagt?« Wieder wartet er und starrt mich an, als wäre ich eine besonders hartnäckige Festplatte.
Tja, starren kann ich auch. Auf keinen Fall werde ich ihm erzählen, woher ich das mit Triti weiß. Ich erwidere seinen Blick so eindringlich, dass die Leute vom Nachbartisch, wenn sie uns denn beobachten würden, glauben müssten, wir wären entweder ineinander verliebt oder würden uns abgrundtief hassen.
Mir ist noch nie aufgefallen, wie ähnlich diese beiden Gefühle von außen aussehen.
Er blinzelt zuerst. »Egal, das ist sowieso nur die halbe Story. Wenn du die ganze haben willst …« Er dreht die Zettel um und dort ist, in seiner wirren Handschrift, eine Adresse in Camden notiert. »Na, Lust auf einen Tagesausflug in die Slums von Nord-London?«
49
Ich wollte allein fahren, aber das hat Lewis nicht zugelassen.
»Ist ein raues Pflaster da oben«, erklärte er. »Irgendwie fühle ich mich für dich verantwortlich.«
Wir nehmen die U-Bahn und unterwegs denke ich darüber nach, was wohl hinter Tritis Tod steckt. Eine drohende Zwangsheirat? Misshandlung durch die Eltern? Ich stelle mir eine Wohnung im obersten Stockwerk eines trostlosen Hochhauses vor, einen Ort, an dem selbst ein Selbstmord auf Raten erstrebenswerter erscheint als ein langes Leben, in dem einen nichts als dasselbe Grau-in-Grau erwartet.
Dann sind wir da. Tritis Straße ist ungefähr hundertmal schicker als die, in der ich wohne: solide Doppelhäuser mit jeder Menge deutscher Autos in den frisch markierten Parkbuchten davor.
»Jetzt kannst du mich wohl auch allein weitermachen lassen, Lewis. Wie ein Getto sieht das hier ja nicht gerade aus.« Ich greife in meine Handtasche und ziehe fünf Pfund heraus. »Hier, hol dir doch irgendwo einen Kaffee. Ich rufe dich an, wenn ich mit ihnen geredet habe.«
Falls ich überhaupt so weit komme.
»Steck das weg, du Scherzkeks. Wie viele Wochen musstest du dafür dein Taschengeld sparen? Ich brauche dein Geld nicht. So viel verdiene ich innerhalb von zehn Minuten, während ich einfach nur hier stehe. Außerdem würde ich dann doch ganz gern wissen, wofür ich eigentlich riskiert habe, in den Knast zu wandern.«
»In den Knast?«
»Na ja, sich in die Datenbanken der Regierung einzuhacken, ist alles andere als legal, Alice. Aber was soll’s, jedenfalls bin ich gespannt, wie du vorhast, diese Leute zu bequatschen.«
Ich sage ihm nicht, dass er da nicht der Einzige ist. Ich habe keine Ahnung, wie ich das anstellen soll.
Tritis Haus wirkt sehr gepflegt, mit Töpfen voller herbstlicher Pflanzen, die wie Wächter auf den Stufen vor der geschmackvollen graugrünen Eingangstür stehen. Ich kann nicht durch die Fenster sehen, weil die Jalousien heruntergelassen sind, diese aber sind cremefarben und haben eine raue Textur, wie handgeschöpftes Papier. Alles hier wirkt so erlesen. Mir wird klar, dass ich etwas Bollywood-Mäßigeres erwartet hatte, ein Zuhause passend zu einem Mädchen mit einer Vorliebe für Feuerwerk und Glitzerohrringe.
Ich hole tief Luft und klingele. Vielleicht hätte ich mir mehr Zeit zum Vorbereiten nehmen sollen. Aber heute ist Sonntag und damit unsere beste Gelegenheit, Tritis Familie zu Hause zu erwischen.
Außerdem fürchte ich, dass sie nicht mehr lange durchhalten wird. Als ich Meggie gestern am Strand besucht habe, konnte ich Triti im Hintergrund weinen und schreien hören. Ein paar von den anderen redeten schon davon, ihr einen Knebel zu verpassen, nur um mal eine Weile Ruhe zu haben.
»Keiner da«, sage ich, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch abzuhauen, bevor doch noch jemand kommt,
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