Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
Soul Beach nicht viel Appetit gehabt – vorher hätte mir die Geschichte mit der Magersucht kein Mensch abgenommen.
»Du hast also einen Herzfehler, oder was?« Seine Stimme klingt höhnisch.
»Das war nicht der einzige Grund, dass sie gestorben ist. Oder, Rafi?«
Sein Gesicht wirkt plötzlich verschlossen. Er erinnert mich so sehr an seine Schwester. Nur, dass er für mich irgendwie sogar noch wichtiger ist: Immerhin ist er der erste Mensch, der mir definitiv die Existenz von Soul Beach beweist.
»Der Arzt hat gesagt, es waren natürliche Ursachen. So wollen wir sie im Gedächtnis behalten.«
»Aber warum ist sie ursprünglich ins Krankenhaus eingeliefert worden, Rafi?«, fragt Lewis, gerade als ich aufgeben will.
Eine Ewigkeit lang sagt niemand von uns etwas, dann aber sehe ich, dass Rafi Tränen in die Augen treten. Ich weiß genau, wie er sich fühlt. Ich wünschte, ich könnte ihm von Soul Beach erzählen, aber selbst wenn er mir glauben würde, wäre es für ihn wohl kaum tröstlich zu erfahren, dass seine Schwester heute genauso sehr leidet, wie sie es zu Lebzeiten getan hat.
»Sie war erst ganz am Ende dort. Als es sowieso schon fast vorbei war. Davor … na ja, du wirst das ja selbst am besten wissen, aber im Internat lässt sich so was leicht geheim halten. Und an einer reinen Mädchenschule ist das ja sowieso ziemlich verbreitet. Essen verstecken. Essen klauen. Ich glaube, sie hat überhaupt erst damit angefangen, um mit den anderen mitzuhalten.«
»Hmm«, sage ich. Im Internat. Das wusste ich nicht, aber irgendwie habe ich das Gefühl, es könnte wichtig sein.
»Als sie im Sommer, kurz bevor sie sechzehn wurde, nach Hause kam, war sie auf einmal total verändert. Dünner natürlich, aber auch distanzierter. Mum ist es auch aufgefallen, nur Dad nicht. Na ja, ganz am Ende dann schon. Vorher war sie einfach eine typische kleine Schwester, wisst ihr?«, fragt Rafi, scheint jedoch keine Antwort zu erwarten. Es wirkt eher, als wären es gar nicht mehr wir, mit denen er spricht. Geistesabwesend starrt er hinaus in den herbstlich öden Garten. »Aber in dem Sommer hat sie auf gar nichts reagiert, was ich gesagt oder gemacht habe. Ich hätte sie kneifen können und sie hätte keinen Mucks von sich gegeben.« Plötzlich scheint ihm wieder einzufallen, dass wir hier sind. »Hab ich natürlich nicht. Sie gekniffen, meine ich. Klar konnte ich sie zwischendurch auch mal nicht ausstehen, aber ich habe sie geliebt. Tja, Geschwister eben, ihr wisst schon.«
Ich nicke. Ja, ich weiß, wie das ist. »Also glaubst du, es lag an der Schule, dass Triti sich so verändert hat?«
Rafi vergräbt das Gesicht in den Händen. »Hör zu, wir waren eine glückliche Familie. Vielleicht ein bisschen langweilig, aber glücklich. Ich merke doch, wie uns die Leute jetzt angucken. Mum und Dad werden nirgends mehr zum Essen eingeladen. Dabei wissen nur die wenigsten davon. Stellt euch mal vor, wie es gewesen wäre, wenn es in den Zeitungen gestanden hätte: Tochter von indischem Geschäftsmann hungert sich zu Tode . Die hätten doch alle das Schlimmste angenommen.«
»Wie meinst du das?«
»Das Übliche eben. Dass sie zu so einer komischen arrangierten Ehe gezwungen werden sollte oder dass Dad und ich sie zu unserer Haussklavin machen wollten, statt sie die Schule fertig machen zu lassen und so weiter.«
Ich werde rot. So etwas in der Art hatte ich ja auch vermutet. »Verstehe.«
»Also, ist es da ein Wunder, dass wir das alles lieber unter Verschluss halten wollten? Für Triti spielt es schließlich jetzt keine Rolle mehr.«
Genau da könntest du falschliegen, denke ich. Vielleicht war es gerade die Tatsache, dass niemand sich mit dem auseinandersetzen wollte, was wirklich mit ihr passiert ist, und aus diesem Grund ist Triti am Strand gelandet. »Hat sie denn nie erzählt, was passiert ist? Was sich an der Schule verändert hat?«
»Hat sie dir was erzählt?«
Ich wende den Kopf ab. »Nicht direkt.«
Sein Gesicht nimmt einen harten Ausdruck an. »Tja, dann weiß ich, wie schon gesagt, nicht, was du hier überhaupt willst. Und jetzt hätte ich gern, dass ihr beide geht, bevor meine Eltern zurückkommen.«
Lewis berührt meine Hand. »Wir sollten wirklich gehen, Alice.«
Ich stehe auf. Das war nicht alles, da bin ich mir sicher. Aber ich folge ihnen trotzdem durch den Flur und dort fällt mir eine Reihe von Fotos an der Wand auf. Alle ganz normal: Triti und Rafi in unterschiedlichen Schuluniformen oder bei Kostümpartys,
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