Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
natürlicher. Und auch um ihre Figur kann man sie nur beneiden, sie ist kurvig an genau den richtigen Stellen und nicht im Geringsten dick.
Trotzdem hat sie das Skelettbild ausgewählt, um sich der Welt zu präsentieren. Weil sie in ihrer verzerrten Wahrnehmung vermutlich meinte, darauf am besten auszusehen.
»Fang bei der Pinnwand an, von unten«, fordert Lewis mich auf. »Die wichtigen Sachen habe ich markiert.«
Ich klicke zurück zu ihrem Profil und scrolle nach unten. Weiter und weiter und weiter. Lewis hat es so eingerichtet, dass alle Einträge aus dem Jahr, bevor sie starb, auf derselben Seite stehen. Zuerst sehe ich nur die üblichen Nachrichten über Partys und Ergebnisse von Persönlichkeitstests und darüber, wer welchen Filmstar süß findet. Dann leuchtet der erste Post, den Lewis markiert hat, in giftigem Gelb auf:
TRITI IST SO FETT, SIE BRAUCHT IHRE EIGENE POSTLEITZAHL!
Er stammt von einem Mädchen namens Salli Patterson und darunter folgen Kommentare von einem halben Dutzend weiterer Mädchen, die sich alle einig zu sein scheinen, dass das der lustigste Witz ist, den sie je gehört haben.
Drei Tage später schlägt Salli wieder zu.
TRITI IST SO FETT, SIE BEKOMMT IM KINO GRUPPENRABATT!
Wieder erhält der dämliche Post jede Menge Likes und so geht es immer weiter: Lewis’ gelbe Markierungen dominieren langsam, aber sicher die Seite. Triti wird mit einem Wal, einem Berg, einem Bus verglichen. Nichts davon ist sonderlich lustig oder clever und wenn man hier sitzt und diese Möchtegern-Witze liest, fällt es leicht, sie als ziemlich erbärmlich abzutun.
Aber einen nach dem anderen an sich selbst adressiert zu sehen, jedes Mal, wenn man sich einloggt?
»Die sind echt gemein, aber glaubst du, das ist wirklich der Grund, warum sie gestorben ist?«, frage ich Lewis.
»Guck dir erst mal die privaten Nachrichten an«, erwidert er und beugt sich vor, um eine andere Seite aufzurufen.
Oh Mann, Salli hat wirklich nichts dem Zufall überlassen. Der gesamte Posteingang ist voll von Nachrichten, die mit einzelnen Wörtern überschrieben sind: Sau, Schlampe, Dummbrot.
»Jeden Tag eine. Manchmal sogar mehr«, sagt Lewis. »Die sind alle so.« Er öffnet eine davon.
Hey, Triti,
warum bleibst du nicht einfach zu Hause?
Ich hab dich heute in der Schule gesehen mit deinem blöden Zopf. So ’n Schleifchen machen sie den Schweinen auch an die Schwänze, wenn sie zum Schlachter gebracht werden. Das lenkt auch nicht davon ab, wie potthässlich du bist. Das Einzige, was dagegen helfen würde, wäre ein großer Sack über dem Kopf, und dann bleibt da immer noch dein Gestank!
Wir wollen dich nicht an unserer Schule. Wahrscheinlich bist du so doof, dass du das noch nicht kapiert hast. Aber das hier hört nicht auf, bis du’s endlich tust, klar?
Wir sehen uns, du Bratze.
Salli!
»Was für eine fiese Kuh.« Sallis Profilbild zeigt nur einen rosa Teddy, sodass ich nicht sehen kann, ob sie selbst dick oder dünn ist.
Wahllos klicke ich ein paar der anderen Nachrichten an. Einige davon sind nicht ganz so offensichtlich grausam und enthalten gute Tipps, wie zum Beispiel, dass Triti ja Wattebäusche essen könne, um ihren Hunger zu stillen, oder zeigen das Bild eines magersüchtigen Mädchens aus dem Internet, mit dem Untertitel: Ist sie nicht wunderschön?
Außerdem gibt es noch ein paar Mails, die von einer echten Freundin stammen könnten. Wie die arme Triti sich nach einer solchen Freundin gesehnt haben muss. Aber die hätte sie nicht in so jemandem wie Salli gefunden, die schreibt:
Bald hast du’s geschafft, Triti. Du wirst diesen Sommer am Strand super aussehen in deinem Bikini. Und dann hast du es den ganzen Schlampen gezeigt, die behaupten, du wärst fett. Dann kannst du ihnen ins Gesicht sehen und stolz auf das sein, was du erreicht hast.
Diese letzte Nachricht wurde in den Sommerferien gesendet, weniger als einen Monat bevor Triti starb.
»Diese Salli ist wirklich ein Monster.«
Lewis nickt.
»Und sie muss das Ganze mehr oder weniger Vollzeit betrieben haben. Ich meine, wir haben ja online alle schon mal den einen oder anderen biestigen Spruch abgekriegt, aber so was? Jemanden … na ja, wirklich in den Tod zu treiben.«
»Das ist eine der extremsten Hetzkampagnen, die ich je erlebt habe.«
»Also, dann sollten wir Salli wohl mal einen Besuch abstatten, was?« Vielleicht findet Triti ja nun Frieden, denke ich. Vielleicht findet sie sogar einen Weg, Soul Beach zu verlassen. Was mir wiederum mehr
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