Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
mehr.
Ein typischer Mörder bleibt am liebsten für sich.
Das könnte man zumindest meinen, wenn man den hirnverbrannten Fernsehnachrichten Glauben schenkt. Da wird irgendwann immer ein Nachbar oder ein Kollege des frisch verhafteten Mörders interviewt und die beten dann stets dieselben Mantras runter.
»Wir haben ihn kaum gesehen«, sagt der Erste. »Aber sein Vorgarten war immer schön gepflegt.«
Der Nächste fügt hinzu: »Er hat immer höflich gelächelt, aber richtig dazugehört hat er nie, stimmt’s, Ethel?«
»Nein, nein. Er blieb am liebsten für sich.«
Als würde man gleich zum Mörder, nur weil man das Bedürfnis nach Privatsphäre hat.
Ich bin nicht sicher, ob ich auch schon vor Meggie ein Einzelgänger gewesen bin; jetzt bin ich notwendigerweise zu einem geworden. Es gibt Momente, in denen der Drang, mich jemandem anzuvertrauen, alles zu gestehen, meine Seele zu öffnen, beinahe genauso überwältigend ist wie der Instinkt, der die Tat selbst herbeigeführt hat, die ich jetzt verborgen halten muss. Aber mein wahres Ich muss für sich bleiben. Und dabei muss ich stets so tun, als wäre ich ganz normal.
Um einen Mord zu begehen, bedarf es nur eines kurzen Moments der Schwäche.
Um deine Freiheit zu behalten, bedarf es lebenslanger Konzentration.
55
»Plätzchen oder Nachos? Oder beides? Nehmt ruhig beides, wenn ihr wollt!«
Mum ist so was von peinlich. Alles, was ich will, ist Lewis’ Neuigkeiten hören – welche Snacks dazu gereicht werden, könnte mir nicht gleichgültiger sein. Aber sie leert schon eine Tüte Maischips in eine Schüssel, füllt ein Schälchen mit Hummus aus dem Supermarkt und arrangiert beides zusammen mit zwei Gläsern O-Saft und einem Teller Plätzchen auf einem Tablett.
»Wow, dich komme ich öfter mal besuchen«, sagt Lewis, als wir endlich oben sind.
»Sie denkt, du errettest mich aus meinem Elend«, erkläre ich.
»Normalerweise errette ich Leute für fünfundneunzig Pfund die Stunde plus Mehrwertsteuer«, erwidert er, »aber fürs Hacken mache ich eine Ausnahme, das ist mehr so was wie ein Hobby.«
»Erzähl schon!«
»Ach komm, lass mich wenigstens noch meine Fanfare zu Ende bringen. Ein bisschen Eigenlob schadet nie. Du weißt schon, der Held, der gegen das System kämpft und so weiter.« Dann sieht er meinen Gesichtsausdruck. »Okay. Angesichts der Umstände, wie auch immer die sein mögen, und obwohl du mir nicht die ganze Geschichte verrätst, sag ich’s dir ohne große Umschweife. Ich habe Tritis E-Mail-Konto gehackt, ihre Passwörter rausgefunden und mich in ihren Facebook-Account eingeloggt. Und dann … Na ja, guck es dir am besten selbst an.« Er holt einen winzigen, beinahe mädchenhaften Laptop aus seiner affigen Messenger Bag.
»Ich habe alles gecacht, damit wir ein komplettes Protokoll haben. Na ja, Triti hatte natürlich an einigem rumgedoktert, Sachen gelöscht oder sonst wie geändert, aber es war zum Glück alles in ihrem E-Mail-Account gespeichert, also konnte ich die Liste offline wiederherstellen, sodass du alles in chronologischer Reihenfolge sehen kannst.«
Okay, ich gebe zu, ich bin beeindruckt, aber ich werde seinem Ego bestimmt nicht schmeicheln, indem ich zum bewundernd aufseufzenden Groupie mutiere. »Danke«, sage ich nur und beuge mich vor, um zu lesen, was auf dem Bildschirm steht.
Laut ihrer Homepage hatte Triti zweihundertelf Facebook-Freunde, ziemlich normal für jemanden in unserem Alter. Obwohl die Triti, die ich vom Strand her kenne, so schüchtern ist, dass es mich wundert, dass sie überhaupt einen Account hatte.
Ihr Profilbild zeigt ein Mädchen, das fotogen sein könnte, wenn es nicht halb verhungert aussähe. Sie trägt übertriebenen Schmuck, der ihre spitz hervorstechenden Schlüsselbeine nur noch mehr betont. Große dunkle Augen blicken argwöhnisch unter schweren Lidern hervor. Ihre Nase und Lippen scheinen zu groß für ihr eingefallenes Gesicht, so als würde ich sie durch einen Türspion betrachten. Ihre Haut ist blasser, als gesund ist.
Ich klicke auf ihr Fotoalbum, und die Bilder dort, die mehr denjenigen an der Wand bei ihr zu Hause ähneln, brechen mir schier das Herz. Sie sah fantastisch aus, als sie noch nicht so dünn war. Zarte Haut und Bambi-Augen, ohne überproportional riesig zu wirken. Sie lächelt auf allen Fotos außer dem Profilbild. Bis jetzt dachte ich, Soul Beach würde einen schöner machen, als man es im realen Leben war, aber die echte Triti war viel hübscher und vor allem
Weitere Kostenlose Bücher