Soul Kitchen
Menschenmenge drum herum. Oben auf dem Dach stand Kathinka. Sie war nackt und brüllte irgendetwas. Zinos rannte durch die Menge, die Polizei ließ ihn ins Haus, begleitet von einem Psychologen. Als sie oben ankamen, stellte sie sich dem Psychologen gerade förmlich vor und sagte dann zu Zinos:
»Ich gehe mit denen, ich bin bereit, aber ich will mir erst was Hübsches anziehen.«
Der Psychologe wies die Rettungssanitäter an, einen Stock tiefer zu warten und blieb in der Tür stehen. Kathinka zog das Glitzerkleid an, darüber die Pelzjacke und hakte sich bei dem Therapeuten unter. Sie drehte sich noch mal um, und zwinkerte Zinos zu.
REZEPT: KATHINKAS PÜRIERTE NAHRUNGSPYRAMIDE
MAN BRAUCHT
– zweihundertfünfzig Gramm Gemüse
– zweihundertfünfzig Gramm Obst
– hundertfünfzig Gramm Nüsse
– zwei Gläser Milch
– ein Ei – roh oder gekocht
– einen Schuss Olivenöl, einen Schuss Sonnenblumenöl oder auch teures Kürbiskernöl, Walnussöl, Rapsöl etc.
–eine Scheibe Vollkornbrot
– hundertfünfzig Gramm Fisch
– dreißig Gramm rotes Fleisch
– siebzig Gramm Geflügel
– Salz, Rohrzucker oder Pfeffer nach Belieben
– einen großen Mixer
ZUBEREITUNG
Alles vorher möglichst klein schneiden oder hacken. In den Mixer werfen, und los geht’s. Wer besonders ernährungneurotisch ist, sollte noch Nahrungsergänzungsmittel untermischen! Kathinka hat manchmal, wenn Zinos nicht hinsah, auch einen Schuss Wodka hineingegeben, auch Paracetamol, Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin) oder Verschreibungspflichtiges – und wer weiß schon, was noch ...
Man kann mehr oder weniger Flüssigkeit hineingeben, je nachdem, ob man Brei oder einen Cocktail bevorzugt. In jedem Fall sollte man garnieren: mit Petersilie, ein zwei Basilikumblättern, einer Beere, einem Zuckergitter, einem Schirmchen oder, wie Kathinkas Mutter es seit Neuestem gerne macht, mit einer essbaren Blüte – erhältlich beim Feinkosthändler. Man kann die Sache mit einem guten Mineralwasser (am besten gekennzeichnetes Heilwasser) trinkbarer machen.
Damit hat man in einem Schwung alle Nahrungsgruppen intus und kann sich, falls man die Nahrungsaufnahme als notwendiges Übel betrachtet, den Tag über mit Wichtigerem beschäftigen .
Auf großer Fahrt
»Man steht mitten im Leben, solange man jederzeit abreisen kann.«
Kathinka wurde am 10. September 2001 in die Psychiatrie eingewiesen. Am Tag darauf hatte Zinos endlich mal wieder ausgeschlafen, aber er bekam die verstörenden Gedanken an Kathinka nicht aus dem Kopf. Er brauchte dringend ein bisschen Ruhe und Zerstreuung und schaltete den Fernseher ein. Nachdem er wegen der Bilder aus Amerika zunächst in Panik geriet, da seine Nerven ohnehin überstrapaziert waren, verbrachte er die ganze nächste Woche fasziniert vor dem Fernseher. Die Ereignisse boten genug Ablenkung und ließen ihn eine Weile glauben, es gebe Schlimmeres als persönliches Unglück.
Er fragte sich, ob Kathinka auch fernsehen durfte. Onkel Guido rief ein paar Tage später an, er stammelte, Zinos könne nicht weiter für ihn arbeiten, er sei auf die Finanzspritzen von Kathinkas Eltern angewiesen. Zinos versuchte nicht, Onkel Guido zu überzeugen, dass er gar nichts mit Kathinkas Problemen zu tun hatte.
Zinos brauchte einen neuen Job. Zum ersten Mal hatte er Probleme, einen zu finden. Er lebte bald von dem Geld, was er für ein Auto gespart hatte. Er ging jeden Tag die Zeitungen nach Anzeigen aus der Gastronomie durch. Aber niemand stellte ihn ein. Er bekam nicht mal den Tresenjob in der Kneipe am Hafen, weil die Dame des Hauses fand, er sähe zu jugendlich aus. Immerhin gab sie ihm zur Mittagszeit ein paar Fernet Branca aus und riet ihm, seine Ansprüche runterzuschrauben.
»Noch weiter?«, rief Zinos.
»Wer aus Sprotten keine anständige Mahlzeit machen kann, macht auch aus einem Lachs nur Katzenfutter!«, krächzte sie mit ihrer heiseren Stimme, die stets am Ende des Satzes erstarb.
Schließlich arbeitete Zinos ein paar Monate als Putzkraft in einer Kantine und dann an einem Sandwichstand Am Flughafen, obwohl er beim Putzen mehr verdient hatte. Nach etwa einem Jahr stöckelte eine Freundin von Kathinka in der Abflughalle auf ihn zu und kaufte ein Lachssandwich für sechs Euro siebzig. Als er ihr das Wechselgeld gab, sah sie ihm zum ersten Mal ins Gesicht und öffnete als Erkennungszeichen weit den Mund. Ohne sich zu erkundigen, wie es ihm ging, berichtete sie hysterisch begeistert, Kathinka wäre endlich raus aus der
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