Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
Überraschung versuchte mein Vater nicht, mit mir zu diskutieren, obwohl er verärgert zu sein schien. Er sah uns beide prüfend an und nickte dann resigniert. „Na gut. Wenn du ihm vertraust, dann tue ich es auch.“ Langsam ging er zurück zum Sessel und nahm uns gegenüber Platz. Dann holte er tief Luft und erwiderte meinen festen Blick. Ich war bereit, mir anzuhören, was er zu sagen hatte.
Die Frage war, ob er bereit war, es zu sagen.
„Ich weiß, dass ich dir das alles schon vor Jahren hätte sagen müssen“, setzte er an. „Aber die Wahrheit ist, dass ich es nichtgeschafft habe. Jedes Mal wenn ich dir von deiner Mutter – und von dir – erzählen wollte, habe ich es nicht gekonnt. Du siehst ihr so ähnlich …“
Ihm brach die Stimme, und er blickte zu Boden. Als er den Kopf hob, glänzten seine Augen feucht.
„Du ähnelst ihr so sehr, dass mein Herz jedes Mal Purzelbäume schlägt, wenn ich dich sehe, nur um dann wieder aufs Neue zu brechen. Vielleicht wäre es leichter gewesen, wenn ich dich bei mir behalten hätte, wenn ich dich jeden Tag gesehen und beobachtet hätte, wie du dich zu einer eigenständigen Persönlichkeit entwickelst. Doch so wie es ist, sehe ich dich an und sehe sie, und das macht es so verdammt schwer …“
Nash wand sich unruhig, und ich sah verschämt auf meine Hände, während mein Vater den Blick durchs Wohnzimmer irren ließ, bis er sich wieder gefangen hatte. Dann seufzte er und wischte sich mit dem Ärmel seines für die Jahreszeit viel zu dicken Pullovers die Tränen aus den Augen.
Verdammt! Er weinte wirklich! Wie sollte ich bloß mit einem weinenden Vater umgehen? Ich wusste ja nicht einmal, was ich mit einem normalen anstellen sollte.
„Äh … Hat noch jemand Hunger? Ich hatte kein Abendessen.“
„Ich könnte was vertragen“, sagte Nash.
Ich war sicher, dass er das nur mir zuliebe sagte, um mir die Anspannung etwas zu nehmen. Vielleicht war er aber auch einfach hungrig.
„Wie wäre es mit Makkaroni mit Käsesoße?“, fragte ich auf dem Weg, und er nickte.
Nash und mein Dad folgten mir in die Küche. Ich bückte mich, um aus dem Unterschrank eine Packung Nudeln herauszukramen.
Ich hatte geglaubt, ich wäre bereit. Dass ich mit dem umgehen könnte, was er zu sagen hatte. Aber die Wahrheit war, dass ich es nicht aushielt, meinen Vater weinen zu sehen. Ich brauchte etwas, womit ich mich beschäftigen konnte, weil mir das Herzzu brechen drohte.
„Du kannst kochen?“ Mein Vater musterte mich überrascht, als ich einen Topf aus dem Schrank zog und eine Packung Käse aus Onkel Brendons Fach im Kühlschrank nahm.
„Das sind doch bloß Nudeln. Onkel Brendon hat es mir gezeigt.“ Er hatte mir auch beigebracht, dass man die eine oder andere Tafel Schokolade hinter der Schachtel mit den Schweineschwarten verstecken konnte, die Tante Val niemals anfassen würde, nicht einmal um sie in einem Anfall von Vernichtungswahn wegzuwerfen.
Mein Vater setzte sich auf einen der Barhocker und beobachtete mich, während ich den Herd anstellte und Salz ins Nudelwasser gab. Nash machte es sich zwei Stühle hinter ihm bequem und stützte die Unterarme auf die Theke.
„Also, was willst du zuerst wissen?“ Während ich den Käse auf ein Schneidebrett legte, sah mir mein Vater unverwandt in die Augen.
Ich zuckte die Schultern und kramte ein Messer aus der Schublade links von mir. „Ich glaube, diese ganze Banshee-Sache habe ich dank Nash ziemlich gut im Griff.“ Mein Vater zuckte zusammen, und ich hätte mich bestimmt schuldig gefühlt, hätte er je einen Versuch unternommen, mir alles selbst zu erklären. „Aber warum hat Tante Val gesagt, dass ich geliehene Zeit lebe? Was bedeutet das?“
Dieses Mal zuckte mein Vater so heftig zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. Er hatte offensichtlich mit einer anderen Frage gerechnet – vielleicht mit einer eher praktischen Frage aus dem „Wie lebe ich als Banshee“-Buch. Mein Exemplar war ja anscheinend in der Post verloren gegangen.
Mit einem Mal wirkte mein Vater unendlich müde. Er seufzte tief. „Das ist eine lange Geschichte, Kaylee, und ich würde dir das lieber unter vier Augen erzählen.“
„Nein.“ Ich schüttelte entschlossen den Kopf und riss die Nudelpackung auf. „Du bist um die halbe Welt geflogen, weil du mir eine Erklärung schuldest.“ Von einer Entschuldigung ganz
zu schweigen. „Ich will sie jetzt hören!“
Mein Vater zog überrascht und ein wenig verärgert die Augenbrauen nach oben. Dann
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