Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
Tür, in jeder Hand einen Koffer. „Aber ich schon!“
Ich hätte etwas sagen, ihn zumindest begrüßen müssen. Schließlich hatte ich meinen Vater seit eineinhalb Jahren nicht mehr gesehen. Aber ich konnte es nicht tun. Und je länger ich dort stand, desto klarer wurde mir, woran es lag: nicht etwa daran, dass ich ihm nichts zu sagen hatte, sondern daran, dass ich ihm so viel zu sagen hatte.
Warum hast du mich belogen? Wo bist du gewesen? Wie kommst du auf die Idee, dass es einen Unterschied macht, wenn du zurückkommst? Ich wusste einfach nicht, was ich zuerst sagen sollte.
Nash hatte da weniger Probleme. „Ich schätze mal, das ist dein Dad“, flüsterte er und beugte sich dabei so weit zu mir herüber, dass wir uns an den Schultern berührten.
Mein Vater nickte, wobei ihm das kräftige, leicht wellige braune Haar in die Augen fiel. Er trug das Haar länger, als ich es in Erinnerung hatte, es reichte ihm fast bis zu den Schultern. Plötzlich fragte ich mich, wie sehr ich mich in seinen Augen wohl verändert hatte.
„Du musst Harmonys Sohn sein“, sagte mein Vater mit tiefer Stimme. „Brendon hat schon gesagt, dass du wahrscheinlich auch hier bist.“
„Das stimmt, Sir“, erwiderte Nash. Dann sagte er zu mir: „Er hat gar keinen irischen Akzent.“
Mein Vater stellte die Koffer im Flur ab. „Ich bin auch kein Ire. Ich wohne nur dort.“ Nachdem er die Haustür hinter sich zugezogen hatte, streifte er die Schuhe auf der Matte ab, ehe er zu uns ins Wohnzimmer kam. Dann musterte er mich von oben bis unten. Als er sah, dass Nash und ich Händchen hielten, wurde sein Gesichtsausdruck hart. Dann sah er mir in die Augen, und eine ganze Flut von Gefühlen spiegelte sich auf seinem Gesicht.
Allem voran Trauer. Damit hatte ich gerechnet. Je älter ich wurde, desto mehr ähnelte ich meiner Mutter. Sie war erst dreiundzwanzig Jahre alt gewesen, als sie gestorben war – zumindest hatten sie mir das erzählt –, und manchmal war ich selbst überrascht über die Ähnlichkeit, die ich mit alten Aufnahmen von ihr hatte. Er wirkte niedergeschlagen und ein wenig besorgt, so als graute ihm vor dem Gespräch, das sich nicht länger aufschieben ließ.
Nur eine seiner Gefühlsregungen bewahrte mich davor, aus dem Haus zu stürmen und in dem Auto davonzubrausen, das er bezahlt hatte: Stolz. Die Augen meines Vaters leuchteten vor Stolz, auch wenn der altbekannte Schmerz seine sonst so jugendlichenZüge verhärtete.
„Hallo, mein Kind.“ Er atmete tief ein, und sein Brustkorb fiel regelrecht in sich zusammen, als er wieder ausatmete. „Kann ich vielleicht eine Umarmung kriegen?“
Ich hatte wirklich nicht vorgehabt, meinen Vater zu umarmen, weil ich immer noch so wütend war, dass ich kaum an etwas anderes denken konnte. Trotzdem ließ ich Nashs Hand los und trat wie unter einem Bann nach vorne. Mein Vater ging quer durchs Zimmer, kam auf mich zu, schlang die Arme um mich und zog meinen Kopf an seine Brust. So wie er es früher getan hatte, als ich klein gewesen war.
Sein Aussehen hatte sich vielleicht verändert, aber er roch immer noch genauso wie früher. Nach Kaffee und dem alten Wollmantel und dem Rasierwasser, das er benutzte, solange ich mich erinnern konnte. Die Umarmung brachte eine Menge Erinnerungen zurück, die ich jedoch nicht klar einordnen konnte, so alt waren sie.
„Du hast mir gefehlt“, sagte er an meinem Haar, als wäre ich noch ein Kind.
Ich trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine Umarmung reichte nicht aus, um alles wieder gutzumachen. „Du hättest mich ja besuchen können!“
„Das hätte ich auch tun sollen.“ Er hatte sich zwar noch längst nicht entschuldigt, aber wenigstens waren wir derselben Meinung.
„Tja, jetzt bist du ja hier“, sagte Onkel Brendon aus der Küche. „Setz dich, Aiden. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?“
„Kaffee wäre nett, danke.“ Mein Dad zog den schwarzen Wollmantel aus und legte ihn über die Rückenlehne des Sessels. „Also …“ Er setzte sich auf den Sessel, Nash und ich nahmen ihm gegenüber auf der Couch Platz. „Wie ich höre, hast du deine Bestimmung entdeckt. Und du hast deine Fähigkeiten auch schon ausprobiert, wie es scheint. Du hast eine Freundin zurückgebracht?“
Mutig hielt ich seinem Blick stand und forderte ihn geradezudazu heraus, meine Entscheidung zu kritisieren. Schließlich hatte er schon zugegeben, dass er genauso gehandelt hätte. „Emma hätte nicht sterben dürfen. Keine von
Weitere Kostenlose Bücher