Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
lehnte an der Säule, die den Wohn- vom Essbereich trennte. Meinen alten Spitznamen hatte er seit Jahren nicht mehr benutzt. Ich schloss daraus, dass er mich jetzt für sehr labil hielt.
„Ich bin nicht verrückt“, entgegnete ich und funkelte ihn herausfordernd an.
Onkel Brendon lächelte. Mit den Lachfalten um die Augen wirkte er noch jünger als sonst. „Das habe ich auch nie behauptet.“
Ich schniefte und warf einen bösen Blick in Richtung Küche, wo Val gerade in einem riesigen Topf mit Nudeln rührte. „Sie schon!“ Natürlich wusste ich es inzwischen besser, aber das musste ich ihm ja nicht auf die Nase binden.
Onkel Brendon schüttelte den Kopf und kam über den beigefarbenen Teppich auf mich zu, die Arme vor der Brust verschränkt. „Sie macht sich nur Sorgen um dich, so wie ich auch.“ Er ließ sich in den Blumenmustersessel fallen, der neben dem Sofastand. Da saß Onkel Brendon lieber als auf dem Sofa oder den weißen Stühlen. Weil er hoffte, dass er beim Essen auf das Blumenmuster kleckern konnte, ohne dass Tante Val es bemerkte.
„Macht ihr euch gar keine Sorgen um Sophie?“
„Doch.“ Er überlegte kurz, bevor er weitersprach. „Aber Sophie ist … unverwüstlich. Sie wird schon wieder, wenn sie erst mal die Gelegenheit hatte zu trauern.“
„Und ich nicht?“
Mein Onkel runzelte die Stirn. „Val hat gesagt, dass du Meredith kaum gekannt hast“, sagte er ausweichend und wich damit geschickt der eigentlichen Frage aus – der nach meinen Genesungschancen.
Und wir wussten es beide.
Bevor ich etwas antworten konnte – womit ich es nicht eilig hatte –, hörte ich von draußen Motorengeräusche. Ich schielte durch die Vorhänge und sah ein blaues Cabrio in die Einfahrt einbiegen und neben meinem Auto anhalten. Der Lack glänzte in der Nachmittagssonne. Hinter dem Steuer erspähte ich ein wohl bekanntes Gesicht mit dem unverkennbaren dunklen Haarschopf.
Ich stand auf und steckte das Handy in die Hosentasche. „Wer ist das?“ Onkel Brendon verrenkte sich fast den Hals. „Ein Freund. Ich muss los.“
Als ich schon halb aus dem Zimmer war, sprang er auf. „Val macht Abendessen!“, rief er mir nach.
„Ich habe keinen Hunger“, rief ich zurück, was eine glatte Lüge war. Ich war beinah am Verhungern, aber ich musste weg. Ich konnte nicht dableiben und Spaghetti essen, wie an einem ganz normalen Montagabend. Und so tun als wüsste ich nicht, dass meine gesamte Familie mich schon seit Ewigkeiten belog!
„Kaylee, komm sofort zurück!“, rief Onkel Brendon aufgebracht und stürmte hinter mir her auf die Veranda. Er erhob selten die Stimme, ich hatte ihn noch nie so laut schreien hören.
Ich sprintete los, sprang auf den Beifahrersitz und verriegelte die Tür.
„Ist das dein Onkel?“, fragte Nash, die Hand am Schalthebel. „Vielleicht sollte ich …“
„Fahr!“, rief ich viel lauter als beabsichtigt. „Ich stelle ihn dir später vor!“ Vorausgesetzt, ich lebte noch so lange.
Mit Gewalt legte Nash den Rückwärtsgang ein, drehte sich um und raste schlingernd aus der Auffahrt. Als wir losfuhren, stand mein Onkel mit verschränkten Armen in der Auffahrt und sah uns nach. Tante Val tauchte hinter ihm auf, einen Teller in der Hand, den Mund vor Überraschung aufgerissen.
Erst als wir um die nächste Ecke gebogen waren, fielen mir die bequemen Sitze und die edle Ausstattung des Autos auf. „Du holst mich doch nicht etwa in einem gestohlenen Auto ab, oder?“, fragte ich.
Nash lachte und löste den Blick kurz von der Straße, um mich anzulächeln. Mein Puls stieg. „Das ist Carters Auto. Er hat es mir bis Mitternacht geliehen.“
„Warum sollte Scott Carter dir sein Auto leihen?“
Er zuckte die Schultern. „Wir sind Freunde.“
Ich blinzelte ihn an. Abgesehen von der fragwürdigen Wahl seiner Freunde, hätte ich Emma nie mein Auto geliehen, obwohl sie meine beste Freundin war. Und ich fuhr kein nagelneues Mustang-Cabrio.
Als ich ihn skeptisch musterte, grinste Nash. Er sah mir einen Augenblick zu lange ins Gesicht, bevor sein Blick ein Stockwerk tiefer schweifte. „Er hatte den Eindruck, dass du … äh … echte Aufheiterung brauchst.“
Mir schlug das Herz bis zum Hals, und ich brachte fast kein Wort heraus. „Und, bist du der Aufgabe gewachsen?“ Nach den Ereignissen des Tages war ich einerseits nicht gerade in Flirtlaune, andererseits fühlte ich mich dadurch lebendiger. Besonders wenn ich daran dachte, dass ich bald sterben würde, was sich wie ein
Weitere Kostenlose Bücher