Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
meiner Schätzung nach Neuntklässer. Wohin ich auch sah, überall waren Mädchen, manche in Kleidern, manche in dunklen Hosen, wieder andere in Jeans, der offiziellen Teenager-Uni-form. Es schien mit einem Mal nur noch Mädchen zu geben, während die Jungs und Erwachsenen schlichtweg nicht mehr existierten.
Doch keines der Gesichter, egal ob voller Sommersprossen, tränenüberströmt, schmal, rund, blass, dunkelhäutig oder braungebrannt, vermochte meinen Blick zu fesseln. Keines der Mädchen berührte meine Seele.
Nach einer schieren Ewigkeit, in Wahrheit wahrscheinlich weniger als eine Minute, kehrte mein Blick zu Nash zurück. Meine Kiefermuskeln schmerzten, weil ich ich die Zähne so fest aufeinanderpresste, und der unterdrückte Schrei hatte meinenHals bereits wundgekratzt. In meinen Handflächen sah ich die Abdrücke meiner Fingernägel. Ich kämpfte mit den Tränen. Das Mädchen war immer noch hier, das spürte ich an der ungebrochenen Kraft des Schreis, der in mir tobte, aber ich konnte sie nicht finden!
„Versuch es noch mal.“ Nash drückte meine Hand. „Nur noch einmal!“ Ich nickte und würgte die Klagelaute hinunter, die in meiner Kehle aufstiegen. Es tat höllisch weh, so als würde ich Glassplitter schlucken, und danach ging es mir noch schlechter. Auf meiner Brust lastete ein wahnsinniger Druck, mein Hals pochte. Und ich war sicher, dass mich dieser Kummer umbringen würde, wenn ich den Schrei nicht bald losließ oder mich von der Ursache entfernte.
Verzweifelt blickte ich über Nashs Schulter. Die Menschenmenge bewegte sich langsam von mir weg auf den Ausgang zu, und ich konnte niemanden erkennen, weil ich nur eine Reihe von Hinterköpfen sah. Eine dünne Rothaarige mit langen Locken, zwei pummelige Mädchen mit schwarzem welligen Haar. Eine Brünette mit feinem schnurgeraden Haar. Sie drehte den Kopf, sodass ich ihr Profil sehen konnte, doch die Panik eskalierte nicht.
Ein Hinterkopf, ungefähr fünf Meter von uns entfernt, stach heraus. Es war eine Blondine, und ihr gesamter Körper war in einen dicken, wabernden Schatten eingehüllt, der keinen der umstehenden Menschen berührte. Als ich sie erspähte, begann mein Hals mit aller Macht zu pulsieren. Der Schrei, den meine Kiefer zurückhielten, drängte hinaus. Meine Lungen schmerzten, doch ich traute mich nicht zu atmen, weil ich Angst hatte, mit der Luft den Schrei anzufachen. Das Mädchen war groß und schlank, mit weiblichen Kurven und langem blonden Haar, das ihr bis auf den Rücken fiel. Wenn sie einen Pferdeschwanz getragen hätte, hätte ich geschworen, es wäre Emma gewesen.
Wer auch immer das Mädchen war, sie würde sterben.
Da ich nichts sagen konnte, um Nash zu warnen, drückte ich seine Hand wohl etwas fester als beabsichtigt. Instinktiv versuchteer, sich loszureißen, bevor er begriff, was los war.
„Wo?“, flüsterte er. „Wer ist es?“
Es war so anstrengend, den Schrei in Schach zu halten, dass ich nur schwach mit dem Kopf auf die Blondine deuten konnte, was nicht sonderlich hilfreich war. In dieser Richtung standen ungefähr fünfzig Menschen, über die Hälfte von ihnen junge Frauen.
„Zeig sie mir!“ Nash ließ meine linke Hand los und zog mich an der rechten vorwärts. „Kannst du laufen?“
Ich nickte unsicher. In meinem Kopf dröhnte der unausgestoßene Schrei, und mir zitterten die Beine. Die freie Hand hatte ich zur Faust geballt. Ein leises, hochfrequentes Wimmern drang aus meiner Kehle. Es waren die ersten Töne des Seelenlieds, die durch meine zusammengepressten Lippen sickerten, und mit ihnen legte sich die gewohnte Dunkelheit, dieser seltsame Grauschleier über die Welt. Zeit und Raum verschoben sich, während sich vor meinen Augen eine andere Welt auftat, die niemand sonst sehen konnte, eine Welt voller unnatürlicher Gestalten.
Nash zog mich unbeirrt vorwärts. Ich geriet ins Stolpern und schnappte erschrocken nach Luft, wobei ich instinktiv den Mund öffnete. Doch Nash fing mich auf, und ich machte den Mund so hastig wieder zu, dass ich mir auf die Zunge biss. Ich schmeckte Blut, doch den nächsten Schritt tat ich aus eigenem Antrieb. Durch den Schmerz war mein Kopf klarer geworden, ich konnte wieder ganz normal sehen.
Ich ging zitternd weiter, Nash stützte mich. Nach zwölf Schritten – ich hatte mitgezählt, um mich zu konzentrieren –, erreichten wir das blonde Mädchen, das in dem dichten Gedränge nicht weiterkam. Ich blieb direkt hinter ihr stehen und nickte Nash zu.
Nash wurde ganz
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