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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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auf ein zweites Rendezvous ein, um diesen seltsamen jungen Mann besser kennenzulernen, doch dieses zweite Rendezvous war gar nicht mehr von so großer Bedeutung. Was auch geschehen mochte, sie würde diesen ersten Eindruck für immer in sich tragen: Nie hatte sich jemand so nach ihr verzehrt wie er. Auf einem solchen Eindruck lässt sich ein Leben aufbauen. Auf dem Eindruck, dem anderen so viel Leben einzuhauchen. Im Grunde hätte mein Vater auch ein anderer sein können oder etwas ganz anderes erzählen können, er hatte (in geballter Form) in meiner Mutter ein Bedürfnis geweckt, das in einem jeden schlummert: das Bedürfnis, wahnsinnig geliebt zu werden.
     
    Die Jahre gingen vorüber. Ich weiß nicht, was für ein Leben sie lebten, bevor ich geboren wurde. Ich weiß, dass sie lange überlegten, bis sie sich entschlossen, ein Kind haben zu wollen. Sie genossen das Leben und machten viele Reisen. Dann kam ich. Ich erinnere mich, ich bin in einem friedlichen, das heißt fast allzu beschaulichen Umfeld aufgewachsen, und mein Leben entwickelte sich in einer etwas traurigen Milde. Diese Atmosphäre nährte wohl meineMelancholie. Aber mittlerweile bin ich von zu Hause ausgezogen. Mittlerweile sind meine Eltern in Rente gegangen. Und jetzt geht’s weiter.
     
    Ich beobachte immer noch die Ikone auf dem Nachttisch meiner Mutter und werde das Gefühl nicht los, dass auch sie mich beobachtet. Ein absurdes Gefühl, ich weiß, aber ich habe dieses Gefühl tatsächlich. Sie stellt mir Fragen, wie ich mein Leben plane, welche Entscheidungen ich zu treffen gedenke, das ist das Gefühl, das ich habe. Vielleicht ist sie ja die Ursache der Depressionen meiner Mutter. Und auch ich werde noch verrückt, wenn ich sie weiter so anstarre. Meine Mutter lächelt mir mit unverminderter Einfalt zu, und ich suche derweil die richtigen Worte. Die sind in einer solchen Situation äußerst schwierig zu finden, sie halten sich tief in unserem Inneren versteckt, und es fehlt jeglicher Hinweis, wie man an sie herankommt. Ich sage zu ihr, dass sie doch noch so jung ist (eine grundlegende Bemerkung, leicht pathetisch). Auf meiner armseligen Handlungsreise durch das eigene Leben versuche ich dann, ihr anzupreisen, was sie mit ihrem Dasein noch alles anstellen könnte.
    «Du könntest ein Buch über orthodoxe Kirchen schreiben, Mama. Damit kennst du dich doch so gut aus.»
    «Das ist lieb von dir, dass du das sagst, aber ich hab keine Lust.»
    «Schade, es ist immer so spannend, wenn du davon sprichst.»
    «Danke, mein Schatz.»
    «Magst du dich ein bisschen ausruhen? Soll ich dich lieber allein lassen?»
    «Nein, es ist schön, dass du da bist. Ich freue mich, dass du vorbeigekommen bist.»
    «Du weißt, dass ich für dich da bin. Du kannst mich auch jederzeit anrufen, ich bin sofort da.»
    «Das ist nett von dir, dass du das sagst. Ich weiß auch, dass du dir viele Sorgen um deine Großmutter machst. Wie geht es ihr?»
    «Ihr geht’s … ganz gut … ich soll dir Grüße ausrichten.»
    Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, die Zärtlichkeit dieses Austauschs wiederzugeben. Es war das erste Mal, dass wir so miteinander redeten. Wir redeten ganz langsam, und diese Langsamkeit barg etwas Schönes in sich. Als besäße jede Silbe einen besonderen Wert. Ich spürte, wie zerbrechlich meine Mutter war, wie erbärmlich sie sich fühlte, aber ich war optimistisch, dass das vorbeigehen würde. Im Augenblick galt es nur, bei ihr zu bleiben. Und gewisse Dinge von ihr fernzuhalten. Was mein Vater getan hatte, indem er ihr das Verschwinden meiner Großmutter verheimlicht hatte. Es musste hart für ihn sein, sich in dieser ernsten Lage nicht an sie wenden zu können. Vielleicht hätte er sogar ein bisschen Trost darin finden können, seiner Mutter von der Krise zu erzählen, die seine Frau durchmachte. Sein Boot driftete in alle möglichen Richtungen ab.
     
    Ich strich meiner Mutter leicht durchs Haar, fand den Zustand, in dem sie sich zeigte, beruhigend. Doch dann meinte sie:
    «Sag deiner Frau alles Liebe von mir.»
    «Welcher Frau?»
    «Na ja, deiner Frau eben.»
    «Aber Mama, ich bin gar nicht verheiratet.»
    «Oh, hör auf, mich an der Nase herumzuführen. Das ist jetzt nicht der richtige Moment dazu. Und sag ihr auch, dass sie mich gern besuchen kommen kann. Mir geht’s nicht so gut, aber ich würde sie gerne sehen. Sie ist so reizend. Eine wahre Perle, die du da gefunden hast.»
    Am Blick meiner Mutter konnte ich erkennen, dass es ihr ernst war. Sie

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