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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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ähnlich. Man hätte sie für drei Brüder halten können. Zu fortgeschrittener Stunde verwischen sich die Unterschiede zwischen Männern. Sie hatten den gleichenBart und trugen die gleiche vor Dreck triefende blaue Latzhose. Alle drei brummten vor sich hin, und es war schwierig zu ermitteln, ob es sich dabei um eine Unterhaltung oder um voneinander unabhängige Selbstgespräche handelte. Als ich eintrat, drehten sie fast gleichzeitig die Köpfe Richtung Tür, um sich dann wieder wortlos ihrem Bier zuzuwenden. Allein der Mann hinter dem Tresen bedachte mich mit einem «guten Abend». Schließlich war noch eine Frau zugegen, die einsam an einem Tisch saß. Ich schaute sie bloß kurz an. Schwer einzuschätzen, ob sie seit Jahrzehnten niemand mehr angerührt oder ob sie eine Romanze nach der anderen hatte. Ich ahnte, hier würde ich nur Extremfällen begegnen. Und es würde mir guttun, von den Regeln der Höflichkeit abzuweichen, das Korsett des Wohlwollens abzustreifen. Ich weiß auch nicht, warum ich so aggressiv an jenem Abend war. Mit etwas Abstand denke ich mittlerweile, dass ich vor irgendetwas Angst hatte.
     
    Ich trank extrem viel, in meinem Kopf drehte sich alles und doch hatte ich zahlreiche Geistesblitze. Mir wurde klar, dass mein Unglück zum Teil in meiner Entwurzelung begründet lag. Ich hatte überhaupt keinen Kompass, deswegen driftete ich so leicht ab. Meine Eltern waren Gespenster, liebevolle Gespenster zwar, aber trotzdem Gespenster. Und als Nachtportier hatte ich ihr gespenstisches Dasein fortgeführt. Ich begegnete keiner Menschenseele mehr. Ich wollte nicht so verschüchtert werden wie mein Vater und noch weniger als Halbverrückter enden wie meine Mutter. Ich wollte mich dem Licht zuwenden. Ich war meiner Großmutter hierhergefolgt, aber mir war klar, das würde mich restlos desillusionieren. Sie lief bei ihrem letzten Anlauf, das Schöne zu erlangen, auf Grund. Ich sah schwarz, in jeglicher Hinsicht, ich hätte in dem Moment auf die Klippen zulaufen und mich hinunterstürzen können.
     
    Aber ich kippte lediglich vom Stuhl. Mein Körper ließ mich in meinen Rauschgelüsten feige im Stich. Wenn ich richtig verstanden habe, hatten die anwesenden Gäste die Freundlichkeit besessen, mich ins Hotel zurückzutragen (ich hatte die Schlüssel dabei). Ich schämte mich dafür, dass ich nicht in der Lage gewesen war, auf dem schwankenden Schiff meinen Mann zu stehen. Man hatte mich wie ein Kind ins Bett gebracht. Selbst die Hühner auf dem Bild warfen mir verächtliche Blicke zu. Dennoch verschaffte mir dieser lausige Abend auch ein gewisses Gefühl der Befriedigung. Manchmal muss man das eigene Elend etwas dramatisieren. Ich war müde und hatte Kopfweh. Aber ich konnte mich jetzt nicht schlafen legen. Es war fast sieben, und ich hatte etwas vor. Locker eine Viertelstunde stand ich unter der Dusche und drehte den Hahn immer weiter nach links, damit das Wasser langsam kälter wurde. Die einzige Möglichkeit, meine vollgelaufenen Neuronen wachzurütteln. Nachdem ich mich angezogen hatte, klopfte ich bei meiner Großmutter an der Tür. Ich fürchtete, sie aufzuwecken, aber nein, ihre Augen waren schon offen. Sie wälzte sich im Bett.
    «Du musst dich anziehen. Wir haben Großes vor heute.»
    «Echt? Was denn?»
    «Wirst schon sehen, wirst schon sehen. Ich sage nur, zieh dich an.»
    Sie machte sich also auf ins Bad. Ich schaute mir derweilen ihr Zimmer an. Es sah in etwa so aus wie meins. Bloß das Hühnerstall-Gemälde an der Wand fehlte. Aber ich konnte ganz beruhigt sein: Auch sie hatte ihr hässliches Bild. Und ich muss sagen, es war noch hässlicher als meins. Letzten Endes war ich im Königreich der Armseligkeit gar nicht so schlecht bedient (man muss die Quellen der Freude nehmen, wie sie kommen). Ihr Bild war eine Art Stillleben, ein Grabesstillleben: Für dieses Leben, das drei Äpfel auf einem Tisch zeigte, bestand keinerlei Hoffnung mehr. Wahrscheinlich ein einzigartiger Fall in der Geschichte des Obstes, aber ich kann mit Gewissheit sagen: Diese drei Äpfel gaben ein scheußlich deprimiertes Bild ab. Man wünschte sich, sie da herausholen und retten zu können, aber nichts zu machen, sie waren dazu verurteilt, lebenslänglich in diesem Rahmen zu versauern.
    Ich erklärte bei einem Expressfrühstück meiner Großmutter mein Vorhaben. Sie konnte es kaum fassen. Ich glaube, sie hatte die gleiche Idee gehabt, sie aber schnell wieder fallen lassen. Wir fuhren zur Schule. Es war noch unheimlich früh.

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