Sozialisation: Weiblich - männlich?
Anstrengungen, sexuelle Reize, und andere Faktoren
(Petersen
1979, S. 198-99) beeinflußt wird.
Erhebliche Beachtung in der Diskussion um biologische Grundlagen haben die Veröffentlichungen von Money und Ehrhardt über hormonelle Anomalien erhalten. Sie vertreten die Ansicht, daß Androgeneinwirkungen vor der Geburt eine „Maskulinisierung des Gehirns“ hervorrufen, die sich dann in männlichem Verhalten äußert. Als Beleg für die These dienen „natürliche Experimente“, insbesondere bei Mädchen, die das „androgenitale Syndrom“ (AGS) aufweisen, bei dem infolge einer Fehlsteuerung der Hormonproduktion Androgene in den Blutkreislauf des Fötus ausgeschüttet werden. Diese Mädchen sollen in außergewöhnlich hohem Maße „Tomboy-Verhalten“ aufweisen, welches gerne auf die Hormoneinwirkungen zurückgeführt wird. In der frühen Fassung wird diese These unbekümmert unter der Voraussetzung vorgebracht, daß alle biologisch normalen Mädchen Kleidchen mit Rüschen, Puppenspiel und Tagträume von der künftigen Hausfrauenehe bevorzugen würden
(Money/Ehrhardt
1972). In einer späteren und genaueren Arbeit verglich Ehrhardt AGS-Mädchen mit ihren Müttern und ihren Schwestern, um eventuelle Wirkungen des Erziehungsstils vergleichbar zu halten. Wenn man die Differenzen, die sie darstellt, unvoreingenommen betrachtet, so schält sich eine Tendenz zu mehr körperlicher Aktivität heraus, mit der verständlicherweise eine Bevorzugung von praktischer Kleidung einhergeht. Interessant ist aber auch, daß Jungen mit dem androgenitalen Syndrom, verglichen mit ihren Brüdern, als stärker energiegeladen und eher zu wildem Spiel geneigt eingestuft werden; auch sie hatten im Vergleich zu ihren Brüdern weniger Interesse an eigener Kleidung und Aussehen
(Ehrhardt/Baker
1974). Man gewinnt den Eindruck, daß ein Überschuß an Hormoneinwirkung vor der Geburt zu einer allgemeinen Aktivierung führt: Es werden dann Kinder geboren, die – obwohl durchaus im Rahmen des Normalen – eher am aktiven Ende des Temperamentkontinuums liegen, oder anders gesagt, unter solchen Kindern kommen häufiger „Energiebündel“ vor. Daß Kinder, die eher Energieüberschüsse abzubauen haben, sich auch weniger um hübsche oder ordentliche Kleider kümmern als ruhigere Kinder, ist eine banale Beobachtung, die wohl wenig mit Geschlechtsunterschieden zu tun hat.
Das im Rahmen der Diskussion um hormonelle Anomalien oft geschilderte Bild des „maskulinisierten“ Mädchens entspricht recht gut dem, was bei den Heldinnen der „Mädchen liebt Pferd“-Bücher regelmäßig geschildert wird – Bücher, die zu hunderten in besonderen Regalen in den Jugendbüchereien stehen, weil Schulmädchen sie begeistert verschlingen. Das Verhalten, welches Ehrhardt als „maskulinisiert“ bezeichnet, bietet offensichtlich intensive Identifikationsmöglichkeiten für Millionen von vorpubertären und jugendlichen Mädchen. 3 Auch deshalb scheint es wenig überzeugend, männliche Hormone dafür verantwortlich zu machen.
Eine Reihe von Thesen werden gegenwärtig in der Literatur erörtert, die Unterschiede in den Reifungsprozessen oder in den
Gehirnfunktionen
zwischen den Geschlechtern vermuten. Diese Theorien widersprechen sich z. T. diametral. Insbesondere ist so gut wie nichts über geschlechtstypische Funktionsunterschiede im Gehirn unmittelbar bekannt. Sie werden aus der Beobachtung unterschiedlichen Verhaltens geschlossen
(Waber
1979, S. 47), dann aber wiederum zur Erklärung der Verhaltensunterschiede vorgeschlagen. Waber berichtet, daß Individuen, deren körperliche Gesamtreifung später abgeschlossen ist, eher bessere visuell-räumliche Vorstellungsleistungen erbrachten. Dies galt aber für Mädchen und Jungen und ist daher auch dann nicht geeignet, Geschlechtsunterschiede zu erklären, wenn wir eine generell langsamere Reifung von Jungen annehmen. Im übrigen waren die Differenzen innerhalb des Geschlechts weit größer als die zwischen den Geschlechtern (Waber in
Gullahorn
1979, S. 50-57). Vermutlich wäre es sinnvoller, alle Forschungen dieser Art von dem Anspruch abzukoppeln, „Geschlechtsunterschiede“ erklären zu sollen, und sie an ihren tatsächlichen Erkenntnisaussichten zu orientieren, die darin bestehen, Zusammenhänge zwischen Bedingungen (wie körperliche Reifung, Linkshändigkeit, etc) und Ergebnissen klar einzugrenzen und zu verfolgen. Das Geschlecht ist ein zu komplexes und umfassendes Phänomen, um als unabhängige Variable bei
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