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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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wie der Farbfernseher, z.T. auch Statusbedeutung hat. Das Problem der geschlechtsspezifischen Spiele wird vermutlich weniger in der materiellen Ausstattung mit Dingen als in den Spielfantasien und -anregungen selber liegen.
    Ohne Zweifel tragen Erfahrungen in der Familie sowohl zur Verstärkung vorhandener Neigungen, wie auch zur Errichtung von inneren Barrieren gegen jedes Erproben von Verhaltensmöglichkeiten im Bereich des anderen Geschlechts bei. Doch sind diese Erfahrungen schwer abgrenzbar von den Erfahrungen außerhalb der Familie und in den Medien. Und obwohl die Forschung sich geradezu monoman auf die Erziehung der Mütter gestürzt hat, ist von dort am allerwenigsten eine geschlechtsspezifische Beeinflussung nachweisbar. Zur Vermittlung der Kenntnis der Normen für Weiblichkeit und Männlichkeit bedarf es heute, im Zeitalter der Medien, ohnehin keiner besonderen Erziehungsleistung der Familie.
    Eine abschließende Bemerkung scheint angebracht, da die neuere deutschsprachige Literatur einhellig die Auffassung vertritt, daß Mädchen und Jungen in den ersten Lebensjahren und gerade in der Familie durch massiv unterschiedliche Behandlung geschlechtsspezifisch konditioniert werden. Empirische Forschung wird zur Stützung dieser These kaum bemüht. Ich vermute als Hintergrund dieser Ansichten die historisch spezifischen eigenen Sozialisationserfahrungen derjenigen Generation, die in den 70-er Jahren die Diskussion um weibliche Sozialisation in der neuen Frauenbewegung hervorgebracht hat. Die in Selbsterfahrungsgruppen ausgetauschten Erfahrungen mit der eigenen Kindheit machten die Theorien plausibel, doch die Kindheit der Frauen aus den Jahrgängen zwischen 1940 und 1955 hatten besondere Bedingungen. Denn für die Generation der Mütter dieser Jahrgänge waren durch Krieg und Flucht zahlreiche soziale Netzwerke zerrissen, auf die sich Frauen bei der Kindererziehung früher verlassen hatten. Andererseits hatten sie einen zwölfjährigen Propagandafeldzug gegen jegliche Aneignung von Selbständigkeit oder von männlichen Tätigkeiten durch Frauen erlebt. Angesichts Vergewaltigungserfahrungen, Verbreitung von Halbprostitution als Überlebensstrategie junger Mädchen, wäre es nicht verwunderlich, wenn Mütter in der Nachkriegszeit eine diffus angstbesetzte, spezifisch einschränkende, und mit Bruchstücken unreflektierter BDM-Ideologie angereicherte Mädchenerziehung praktiziert hätten. Die Erinnerung an eigene Mädchensozialisation in der Frauenbewegung der 70er Jahre betraf diese Zeit, ist jedoch vermutlich nicht verallgemeinerbar für junge Mädchen heute.
    Die Familie als Institution läßt einerseits eine große Vielfalt von Besonderheiten bis hin zur skurrilsten Abweichung von der Norm zu; sie ist andererseits durchlässig für historische, klassen- und generationsspezifische Einflüsse. Daß wir dennoch keine gesellschaftliche Aufhebung der Polarität in den sozialen Chancen der Geschlechter beobachten können, verweist darauf, daß wir Ursachen auch für die Sozialisation eher außerhalb der Familie zu suchen haben.
     

2. Erziehung in öffentlichen Einrichtungen
    Unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen scheint leichter nachweisbar in Erziehungseinrichtungen. Dies liegt nicht nur daran, daß die Vorgänge in ihrer Gesamtheit „öffentlich“ ablaufen, daher leichter beobachtbar sind, sondern auch am Charakter des jeweiligen Erziehungsvorgangs. Gilt die Familie als Ort uneingeschränkter Individualität, worin Entscheidungen nach Maßgabe der Besonderheit jeder Person als „gerecht“ empfunden werden, so müssen im Kindergarten und im Klassenzimmer Entscheidungen überwiegend für Gruppen gelten. „Gleiches Recht für alle“ gilt dort als gerecht; die pädagogische Entscheidung wird durch mehrheitlich zu erwartendes Verhalten bestimmt. Dieses ist aber in manchen Hinsichten geschlechtstypisch, was in zunehmendem Maße, spätestens im Alter der Einschulung von den Kindern selbst untereinander kontrolliert wird.
    Die Differenzierung in der Behandlung von Mädchen und Jungen beginnt mit der – von
Lott
(1981),
Clarricoates
(1978) und anderen hervorgehobenen – Tendenz von Lehrer/innen und Erzieherinnen, die Komplexität der Erziehungssituation durch Anwendung des Geschlechterprinzips zu reduzieren. Anweisungen, Aufforderungen, Spielangebote und Erwartungen, oft auch Lob und Tadel werden pauschal an die Gruppe „der Mädchen“ oder „der Jungen“ gerichtet. Damit wird oft nur

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