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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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aufgegriffen, was „in der Luft“ lag: Hat eine Stunde lang eine Gruppe von Jungen mit Bausteinen und Autos gespielt, so ist es leichter und schneller zu rufen: „Jungs, räumt Eure Bausteine auf!“ als das Prinzip zu verdeutlichen: jedes Kind räumt, bevor es geht, das auf, womit es zuvor gespielt hat. Doch wenn auch der Gebrauch von Ansprüchen an Geschlechtskollektive nur zu verständlich als Reaktion auf das Verhalten der Kinder selbst erscheint, so vermischt sich dies immer mit einem Eigenanteil der Pädagogen/innen, die auch von sich aus die Mädchen oder Jungen kollektiv ansprechen bzw. deren vielleicht nur mehrheitlich oder zufällig geschlechtsgeteiltes Verhalten durch Benennung verstärken. Lott betont, daß in den von ihr beobachteten Kindergärten getrennte Aufforderungen an Mädchen und Jungen selbst da genutzt wurden, wo alle gebeten wurden, dasselbe zu tun, etwa ihre Mäntel anzuziehen
(Lott
1981, S. 64-65; ähnlich
Blackstone
1976, Anm. 8, S. 424). Dem entsprach, daß die Erzieher/innen überzeugt waren, daß Mädchen und Jungen im Alter von vier Jahren tatsächlich sehr viele Verhaltensunterschiede aufweisen – viel mehr, und zum Teil auch andere, als bei der Beobachtung der Kinder festgestellt wurde.
    Nahezu jedes Land, in dem eine Frauenbewegung aktiv geworden ist, verfügt inzwischen über eine Analyse der Schulbücher. Immer wieder wird nachgewiesen, daß Mädchen und Frauen in diesen Büchern benachteiligt, ignoriert und geradezu verächtlich dargestellt werden. Nicht nur die Lesebücher, auch die Mathematikbücher gehen derart überheblich mit dem weiblichen Geschlecht um. Für deutsche Schulbücher ist dies aktuell im Sammelband von
Brehmer
(1982) für mehrere Bereiche noch einmal aufgezeigt. In vielem überschneiden sich diese Analysen mit der ebenso notwendigen Analyse der Darstellung von Frauen und Mädchen in den Medien. Hier scheint es lohnenswert, auf einen anderen Aspekt aufmerksam zu machen: Die Lese- und Mathematikbücher scheinen davon auszugehen, daß sie es unbedingt erreichen müssen,
das
Interesse der Knaben zu wecken, während das der Mädchen vorausgesetzt oder aber übergangen werden kann. Die gesamte Anlage der Grundschulbücher scheint darauf zu zielen, Identifikationsmöglichkeiten für Jungen zu bieten, als müßten nur sie, und sie besonders, zum Erlernen der Kulturtechniken überredet werden.
    Empirische Untersuchungen der Interaktion im Klassenzimmer haben festgestellt, daß Jungen •in der Tat – den Alltagsannahmen entsprechend – öfter wegen Disziplinstörungen zurechtgewiesen werden als Mädchen. Sie erhalten jedoch auch mehr positive Aufmerksamkeit, obwohl nicht alle Untersuchungen einen Unterschied feststellen; der Eindruck besteht, daß das, was Jungen im Kindergarten oder in der Schule tun, insgesamt mehr beachtet wird
(Maccoby/ Jacklin
1974, S. 335;
Serbin/O'Leary
1975;
Sharpe
1976, S. 146).
Serbin/ O'Leary
(1975) achteten besonders auf die
Art
der negativen und positiven Beachtung. Wenn Mädchen zurechtgewiesen wurden, geschah dies meist einzeln und eher leise; die Reaktion auf Störungen von Jungen war öffentlich und laut, zog die Aufmerksamkeit der gesamten Gruppe auf sich, und wirkte indirekt als Bestätigung des Verhaltens, das bestraft werden sollte. Aber auch die positive Zuwendung war unterschiedlicher Art: Mädchen wurden weit häufiger beachtet, wenn sie sich in der Nähe der Lehrerin aufhielten, dies war bei Jungen nicht maßgeblich. Die Unterweisung und Hilfestellung bei Aufgaben war unterschiedlich; Lehrerinnen neigten bei den Mädchen eher dazu, die Aufgabe für sie zu machen, wenn sie allein nicht klarkamen, während es den Jungen noch einmal erklärt wurde.
    Da interaktionsstile durchaus je nach Land und Kultur und auch individuell verschieden sind, stellt sich die Frage nach der Obertragbarkeit ausländischer Forschungen. Aus einer neueren Untersuchung in Reutlingen gehen jedoch frappierend ähnliche Ergebnisse hervor. Im ersten Untersuchungsteil wurden 15 Lehrerinnen und Lehrer in 12 Klassen des vierten Schuljahres beobachtet; im zweiten Teil waren 35 Klassen einbezogen. Insgesamt stellte sich heraus, daß Jungen signifikant häufiger aufgerufen werden, sowohl im Verhältnis zu ihrer Zahl wie auch im Verhältnis zu der Häufigkeit, mit der sie sich melden. Sie werden deutlich häufiger gelobt als Mädchen, aber auch häufiger getadelt. Jungen werden mehr als doppelt so oft wegen mangelnder Disziplin getadelt als Mädchen.

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