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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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Geschlechterunterschiede angeführt worden sind, waren methodisch zu einer solchen Schlußfolgerung nicht geeignet. Nebenbei aufgefallene, sehr kleine und zufällige Unterschiede wurden auf dem Hintergrund einer entsprechenden Erwartungshaltung zum Ausgangspunkt spekulativer Theorien gemacht.
    Zwei Vorurteile können von den Anfängen der Psychologie bis heute verfolgt werden: die Überzeugung, daß die Frau durch ihre Fortpflanzungsfunktion als Person geprägt und festgelegt ist; und die Erwartung, daß Verhalten, Leistungen und Fähigkeiten der Menschen nach Geschlecht unterschiedlich sind, wobei jeder Unterschied zumeist als Überlegenheit des Mannes gedeutet wird. Es hat an scharfer Kritik dieser Vorurteile nicht gemangelt. Um die Jahrhundertwende promovierten mehrere Frauen in Psychologie mit Widerlegungen der Auffassung, daß die Menstruation die Leistungen der Frau herabsetze
(Sherif
1979, S. 95). Dennoch ist der weitaus größte Teil der Literatur bis etwa 1970 von solchem Vorurteil geprägt. Wie die neueren kritischen Beiträge
(Haraway
1978,
Sherif
1977,
Sherman
1978,
Unger 1979
u.a.) zeigen, bewirken die ideologischen Vorurteile in der bis dahin vorherrschenden Psychologie der Geschlechterunterschiede ein erschreckendes Maß an methodischer Nachlässigkeit, Vernachlässigung der statistischen Überprüfung quantitativer Daten, massiv verfälschendem Zitieren von Untersuchungsergebnissen sowie kurzgeschlossenen und überzogenen Deutungen von Korrelationen auch bei sehr kleinen Stichproben. Wo der erwartete Unterschied sich nicht in den Daten abzeichnen wollte, griffen manche Wissenschaftler in die Trickkiste: Garai und Scheinfeld haben z. B. für ihren zeitweilig einflußreichen Überblick über den Forschungsstand (1968) beschlossen, daß der gesamte Reifungsprozeß von Jungen gegenüber dem von Mädchen verlangsamt sei, daher der Vergleich zwischen Gleichaltrigen eine versteckte Benachteiligung der Jungen bedeute. Immer dann, wenn die Forschungsberichte keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern vorwiesen, haben sie dies also als einen Beleg für die Überlegenheit der Jungen angeführt (vgl.
Parlee
1975, S. 128-29;
Sherman 1978,
S. 31)!
    In den frühen 70er Jahren begann eine „Tendenzwende“ quer durch die Sozialwissenschaften in ihren Aussagen über Unterschiede und sozialen Status der Geschlechter. Die radikale Kritik „von außen“ an der wissenschaftlichen Untermauerung traditioneller Geschlechterrollen strömte zusammen mit der jahrelangen sorgfältigen Arbeit vor allem von Frauen innerhalb der Psychologie, der Soziologie, der Ethnologie; und die gegenseitige Verstärkung verwandelte schnell das Bild vom „Stand der Forschung“. Eine gar nicht neue wissenschaftstheoretische Erkenntnis wurde erneut unübersehbar: daß die Wissenschaft von historisch und gesellschaftlich bestimmten Menschen gemacht wird, daß die „Daten“, der Gegenstand der Forschung selbst im Forschungsprozeß konstituiert wird. Hatte Eleanor Maccoby 1966 einen Sammelband herausgegeben, worin eine große Anzahl von Unterschieden in den Fähigkeiten und dem Verhalten der Geschlechter als gesichert dargestellt wurde, so hatte das 1974 erschienene Folgewerk von Maccoby und Jacklin eine deutlich andere Sichtweise. Bei diesem Versuch, alle einschlägigen Untersuchungen unter systematischen Gesichtspunkten zu sichten, wurden auch diejenigen Ergebnisse berücksichtigt, die keinen Geschlechtsunterschied aufwiesen. Am Ende bleiben nur noch wenige Bereiche, in denen Unterschiede zwischen den Geschlechtern eindeutig belegt sind, und selbst diese waren oft erst nach der Pubertät, d. h. zu einem sehr späten Zeitpunkt erkennbar.
    Nach hundertjähriger Geschichte der Erforschung von Geschlechtsunterschieden kommt es in der Psychologie erst heute zu Fragestellungen und Forschungsentwürfen, die das Verhältnis zwischen Einflußfaktoren und Verhalten untersuchen. Erst dann kann sinnvollerweise gefragt werden, ob diese Einflußfaktoren typischerweise bei einem Geschlecht häufiger wirk en als
    beim anderen. Die unreflektierte Annahme, daß das Geschlecht selbst als letzte Ursache für Verhalten zu vermuten sei, stand einer solchen Forschung bislang im Wege. Diese Annahme war eine Verlängerung der Reduktion der Frau auf Eierstöcke und Gebärmutter, die von Philosophen und Psychologen des 19. Jahrhunderts offen ausgesprochen wurde.
     

2. Stand der empirischen Forschung über Unterschiede im Verhalten der Geschlechter in der Kindheit

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