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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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dieser mütterlichen Niedergeschlagenheit, die ich so gut kenne, genauso habe ich Gili nach der Trennung abends von seinen Freunden abgeholt, in diesem Ton habe ich die üblichen Worte gesprochen, ohne etwas zu fühlen, hohl und leblos wie eine Vogelscheuche, und ich drücke ihr den Ranzen ihres Sohnes in die Hand, biete an, ihr zu helfen, bis sie wieder gesund ist, ich nehme ihn gerne morgen wieder mit, sie kommen großartig miteinander aus, sage ich, ich will nicht von demKöder lassen, und sie seufzt, danke, schauen wir mal, was morgen mit uns sein wird, ich weiß es noch nicht, ihre Prioritätenliste unterscheidet sich offensichtlich von meiner, ich fahre Jotam über die Haare, versuche, die Berührung festzuhalten, gute Nacht, Süßer, und als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hat, wirft mir Gili seinen scharfen, warnenden Blick zu, Mama, ich sehe, dass du Jotam wirklich gern hast. Ja, gebe ich zu, er ist ein netter Junge, ich finde es schön, wenn er zu Besuch kommt, er sagt, ja, aber sein Blick lässt mich nicht los, ich ziehe ihn auf den Schoß, lege die Hand um seine Hüften, mit einem Schlag hat die Wohnung die Hoffnung verloren, die sie vorher mit so drängendem Leben erfüllte, der Junge hat alle Erwartungen mitgenommen, die ich an sein Hiersein geknüpft habe, und wir beide sind allein zurückgeblieben, Scherben einer Familie, ein Flügel, der in der Erde steckt.
    Früher habe ich auf diesen Moment gewartet, in dem die Eindringlinge auf unserem Territorium die Tür hinter sich zumachten, wie habe ich es genossen, ihn auf den Schoß zu nehmen, das schöne Gesicht mir zugewandt, und seinen gezwitscherten, abgehackten Geschichten über alles, was ihm am Tag passiert ist, zu lauschen, sie mit Küssen auf seine Augenbrauen zu begleiten, auf die Wimpern, auf die Lider, war das alles eine Fata Morgana, war mein Sohn in den ersten Jahren seines Lebens dazu bestimmt, unwissentlich ein Loch zu stopfen, eine Entschädigung und ein Trost für alles zu sein, was ich nicht bei seinem Vater fand, kommt jetzt die Wahrheit ans Licht, er ist doch ein Kind, keine himmlische Rettung, keine strahlende Widerspiegelung, er ist nicht die Antwort auf die Liebe, die unbefriedigt blieb, jetzt schmiegt er sich an mich, legt den Kopf auf meine Schulter, ich vermisse Papa, jammert er plötzlich, es gefällt mir nicht, in zwei Wohnungen zu wohnen, wenn ich bei dirbin, vermisse ich Papa, und wenn ich bei Papa bin, vermisse ich dich.
    Einen Moment lang verschlägt es mir den Atem, ich bin entsetzt über seine Worte, so viele Wochen hat er sich schweigend abgefunden, ohne Protest, so dass ich schon glaubte, er habe sich an alles gewöhnt, ich lege die Arme um seinen zitternden Körper, es gefällt ihm nicht und er hat Recht, schließlich ist er es, dessen Leben aufgeteilt wird, er ist es, der von Wohnung zu Wohnung wandert, er wacht morgens auf und weiß nicht, wo er ist, und vielleicht ist das erst der Anfang, vielleicht wird es neue Partner geben, Halbgeschwister, er ist das hilflose Opfer eines gewöhnlichen Abenteuers, bei dem die Allerschwächsten den allerhöchsten Preis bezahlen müssen, und ich lege meinen Kopf auf seine Schulter, meine Wangen sind nass von Tränen, und er fragt, weinst du wieder vor Freude? Nein, murmle ich, nein, mein Sohn, ich weine nicht vor Freude, und er sagt, ich auch nicht, und nun mischen sich unsere Tränen, sie lassen sich nicht mehr unterscheiden. Dann steht er auf und stolpert zum Telefon, ich rufe Papa an, sagt er, ich will, dass er jetzt kommt und mir gute Nacht sagt, und ich schaue zu, wie seine kleinen Finger sich über den Tasten verheddern und nur mit Anstrengung die Verbindung herstellen, das Klingeln, das jetzt in der anderen Wohnung zu hören ist, zwischen den Perlen des bunten Vorhangs tanzt, zwischen den hellen Möbeln schwebt.
    Papa, höre ich seine helle Stimme fragen, die sofort bricht, um das Ausmaß seines traurigen Zustands zu veranschaulichen, Papa, ich vermisse dich, ich will dich sehen, die Stimme auf der anderen Seite scheint nicht gleich auf seinen Wunsch einzugehen, sie erklärt ihm entschlossen die Verhältnisse, es gibt Mamatage und es gibt Papatage, sie sollten nicht vermischt werden, aber der Junge gibt nicht so schnellauf, nur heute, Papa, du sollst mir nur heute gute Nacht sagen, nein, nicht am Telefon, ich will dich sehen, ich will, dass du mir einen Gutenachtkuss

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