Späte Familie
gibst, und ich lausche gebannt dem Gespräch zwischen ihnen, und wieder erhebt sich vor mir ein Berg von Schuld und Kummer, und wieder scheint es mir, als könnte nur eines die Katastrophe verhindern, als brauchte ich unbedingt einen Beweis dafür, dass mein neues Leben blühen wird, einen Beweis dafür, dass mir der weinende Junge nicht umsonst das Telefon hinhält, Papa will mit dir sprechen, murmelt er bedrückt.
Was ist dort bei euch los, schimpft er, kannst du ihn nicht beruhigen, es wird langsam Zeit, dass du ihm Grenzen setzt, vom Tag seiner Geburt an sage ich dir das, man darf sich seinen Erpressungen nicht fügen, er fühlt deine Schwäche und fängt an zu manipulieren, bei mir passiert so etwas schlieÃlich nicht, man muss das sofort unterbinden, wenn es anfängt, vor allem seinetwegen, ich werde jetzt nicht zu ihm fahren, Ella, versuche, die Situation in den Griff zu bekommen, hör auf, ihn zu bemitleiden, das schadet ihm nur, und ich flüstere, beruhige dich, um was hat er dich denn gebeten, wenn es dir nicht passt, dann komm halt nicht, aber hör auf, deine Faulheit in kriegerische Theorien zu verpacken, und für einen Moment scheint es, als hätte sich nichts geändert, ich kenne diese Wortwechsel so gut, so oft stand ich schwankend unter dem Schwall seiner Worte, und ich lege auf, ein wütender Lärm hallt mir im Ohr, die plötzliche Erinnerung ist bedrückend, aber auch befreiend, sie rückt das Bild der Vergangenheit zurecht, auch wenn es dem Jungen nichts nützt, der enttäuscht in meinen Armen weint, mir hilft es ein bisschen, vielleicht war die Trennung doch nicht nur eine Laune, ist das vielleicht das erste Anzeichen des Beweises, der mir fehlt?
Auf dem Dach des Hauses sammelt sich der Regen wieauf der Plastikplane, die kalten Tropfen springen sich gegenseitig in die Arme, und ich liege ausgestreckt darunter und habe das Gefühl, als wäre die Zimmerdecke durchsichtig und ich könnte den stürmischen Himmel sehen, den Krieg, der sich in dieser Nacht über meinem Kopf abspielt, die lauten Explosionen des Donners und die Blitze, die über den Himmel zischen wie Raketen, aufgetürmte schwarze Wolken gleichen Panzern, die sich schwerfällig vorwärts bewegen, nichts wird sie aufhalten, wie ein himmlisches Schlachtfeld, das sich nie beruhigen wird, sondern nur von einem Ort zum anderen wandert, ein Spiegelbild dessen, was auf der Erde geschieht, und ich ziehe mir das Kissen über den Kopf, es ist Amnons Kissen, das noch immer den Geruch seines schweren Nackens bewahrt, würde ich mich beschützter fühlen, wenn er jetzt hier wäre, neben mir, und was wäre der Preis für diesen Schutz, und warum ist nicht er es, den ich jetzt an meiner Seite haben will, nicht auf ihn richtet sich meine drängende Sehnsucht, wie das Visier einer Waffe, die plötzlich auf ein anderes Ziel gerichtet wird, auf einen anderen Menschen. Wo befindet sich jetzt sein Rucksack voller Alben, wo sind die Augen, deren Farbe der von Regenwolken gleicht, wie ein Lebenszeichen aus einem alten Grab steigt die Begierde aus der Tiefe auf, wo ist er jetzt, liegt er neben seiner niesenden Frau, liegt er neben einer anderen Frau oder ist auch er allein, sucht wie ich das Ende jenes Abends?
13
Ausgerechnet hier, oberhalb der tosenden Kreuzung, verteilt er seine Medikamente, verführerisch wie Tagträume, hier verschenkt er seine teilnahmsvollen, einnehmenden Blicke, er nickt den Patienten zu, die vor ihm sitzen, mit leicht geöffnetem Mund, als würde er mit den Lippen hören und nicht mit den Ohren, ausgerechnet hier über den Abgasen der Autobusse und dem Hupen der Fahrer, ein Ort, an dem man sich unmöglich aufhalten kann, an dem die Stadt ihre scharfen Zähne fletscht und die Passanten wie Hasen über die Zebrastreifen rennen, ausgerechnet hier werde ich ihn treffen, weil ich keine andere Wahl habe, denn es ist Zeit, herauszufinden, was von jener Nacht übrig geblieben ist, und ich drücke die halb geöffnete Tür auf, drei Namen stehen auf ihr, darunter seiner, als wäre das hier eine Fabrik, in der Seelen gerettet werden. Mit einem offiziellen Gesichtsausdruck wende ich mich an die Sekretärin, die über das menschenleere Wartezimmer herrscht, ich muss Dr. Schefer sprechen, sage ich mit entschlossener Stimme, aber sie lässt sich nicht beeindrucken, haben Sie einen Termin, fragt sie und wirft einen Blick auf den
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