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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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grauer Asche, die sich in kleine Krüge ergießt, ein Krug fasst einen ganzen Strauß. Schau doch, murmle ich, ein Krug reicht für einen ganzen Strauß, aber er sitzt schon nicht mehr auf meinem Bettrand, sondern vielleicht auf dem Stuhl vor dem Computer, ist er das oder nur ein Kleiderhaufen, der in der Dunkelheit die Form seines Körpers angenommen hat, und eigentlich spielt es keine Rolle, auch wenn er schon gegangen ist, ist er hier anwesend, und in dem Moment, in dem ich das verstehe, schlafe ich ein, ich sinke in den Schlaf eines geliebten Kindes, eines Mädchens, das weiß, ihr Vater sieht sie morgens gerne an, bevor es ihn sehen kann.

14
    Auf dem Boden des leeren glänzenden Topfes spiegelt sich mein Gesicht, ich stecke meine Nase hinein, suche vergeblich nach jenem Geruch, seltsamer als alle anderen Gerüche, warum hat er so gründlich alle Spuren der Nacht weggewischt, er hat den Rest der Suppe in den Ausguss geschüttet, er hat den Topf so glänzend sauber geputzt wie einen Spiegel, er hat das Geschirr gespült, den Tisch abgewischt und sogar eine saubere Tüte in den Mülleimer getan und die volle mitgenommen, was bringt einen Menschen dazu, alle Spuren seiner Anwesenheit zu entfernen, keine Erinnerung an sich zurückzulassen, wovor hat er Angst, was will er damit sagen, denn würde das Haus jetzt unter einem Ascheregen verschwinden, bliebe keinerlei Hinweis auf das letzte Abendessen zurück, außer der im Herzen, ist es das, was er mir sagen will, wenn du glaubst, wirst du dich erinnern, nur wenn du dich erinnerst, wirst du glauben, aber vielleicht wollte er auch sagen, es war nichts, ich habe nie in deiner Küche gestanden und Suppe gekocht, nie habe ich neben dir auf dem Sofa gesessen und dir zugehört, nie habe ich dich auf deinem Weg in den Schlaf begleitet.
    Warum wollte er, daß ich mich auszog, ohne dass er es selbst tat, warum wollte er mich streicheln, ohne dass er gestreichelt wurde, warum wollte er Lust geben, ohne selbst Lust zu empfangen, was ist die Erklärung für diese seltsamen Dinge, die mich gestern Abend verzaubert haben, heute aber verwirren, und ich setze mich vor den Computer, kein Kleidungsstück hängt über der Stuhllehne, vermutlich saßer dort, gestern Abend, und hat mir beim Schlafen zugesehen, was hat er gesucht, die Ähnlichkeit mit der Frau, die er einmal liebte, den Anblick ihres schlafenden Gesichts, ist das die Erklärung für die schnelle Nähe, diese überraschende Nähe, seine Liebe gab es schon, deshalb konnte sie sich so schnell zeigen, mit einer solchen Leichtigkeit und ohne Anstrengung meinerseits, aber eigentlich gilt sie nicht mir, sie ist nicht an mich adressiert. Ich habe aus Versehen ein Päckchen von der Post geholt, das einer anderen gehört, und aus Versehen habe ich es aufgemacht, und aus Versehen habe ich es genossen, aber es gehört mir nicht und wird mir nie gehören, dieses Versehen hat die Illusion von Nähe hervorgerufen, während wir uns doch fremd sind, kennen wir uns, hat er gefragt, du kennst meinen Mann nicht, hat Michal gesagt, nein, ich kenne deinen Mann nicht, aber es gibt nichts, was ich mehr gewollt hätte, als ihn kennen zu lernen, und wieder schwanke ich hin und her wie ein Vorhang bei stürmischem Wind.
    In der Stunde, in der die Insel Thera bebte und in Stücke gerissen wurde, entstand eine riesige Flutwelle, die zu unglaublicher Höhe anstieg und ungestört über das Mittelmeer fegte, bis zur Küste des fernen Ägypten, dort herrschte die achtzehnte Dynastie in vollkommener Dunkelheit. O Wehklage, das Land dreht sich wie eine Scheibe, die Städte werden verwüstet, Oberägypten liegt in Trümmern, alles ist zerstört. Der Palast stürzt innerhalb eines Augenblicks in sich zusammen, wenn der Lärm und das Toben aufhören, wird es das Land nicht mehr geben, Unterägypten weint, o Wehklage, alles ist vernichtet, was man gestern noch sah, die Erde ist leer wie nach der Flachsernte, die Herzen aller Tiere weinen, die Rinder stöhnen, die Königssöhne werden auf die Straße geschickt, Seufzer erfüllen das Land, Trauerseufzer, das Land ist nicht mehr, es gibt auch kein Licht, sondernnur Finsternis, die Erde ist Sklavin des Gottes Aten, des Sonnengottes, der im Schutz der Dunkelheit zu einem einzigen abstrakten Gott wird, ohne Gestalt und Form, denn er ist die Sonne selbst, er ist das heiße Rad der Sonne in der

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