Späte Familie
dass sie mich vor einem Gespräch schützen, das im besten Fall vertraulich ist, deshalb interessiere ich mich für alles, überschwemme sie mit Fragen, die mir Gili normalerweise nur knapp beantworten würde, aber jetzt wetteifern beide darum, wer ausführlichere Antworten gibt, ich frage, wen von den Klassenkameraden sie mögen und wen nicht, wer die netteste Lehrerin ist, welches Fach sie am meisten interessiert, bis Gili ungeduldig wird und seinen Freund zum Rasen zieht, innerhalb einer Sekunde sind sie verschwunden,lassen halb aufgegessene Fladenbrote, klebrige Saftflecken zurück.
In dumpfem Schweigen schaut sie ihnen nach, ausgerechnet als ich schon darauf warte, dass sie anfängt zu sprechen, zögert sie, ihre Hände zerreiben ein Rosmarinblatt, das sie von einem der Sträucher gepflückt hat, dann seufzt sie und sagt, ich mache mir solche Sorgen um Jotam, und ich sammle sorgfältig die Krümel von meiner Hose und frage, warum, und sie antwortet schnell, als fürchte sie sich vor den Worten, mein Mann und ich trennen uns wahrscheinlich, ich wollte dich fragen, wie war das bei euch, wie hat Gili es aufgenommen, wie lange hat es gedauert, bis er sich gefangen hat, ist es in Ordnung, wenn ich das frage? Ich sage, klar ist das in Ordnung, aber das erschreckende Wort, das sie gesagt hat, hallt mir in den Ohren nach, wahrscheinlich, hat sie gesagt, wahrscheinlich, und es ist, als deutete ein langer Finger auf uns wie der Zweig des alten Olivenbaums, der auf uns beide gerichtet ist, du sei nicht zu früh traurig und du freu dich nicht zu früh.
Das Wissen, dass auf eine verzerrte Art mein Glück auf ihrem Unglück beruht, lässt mir die Zunge am Gaumen kleben und ich erstarre, denn wir sind wie Hagar und Sarah, die Frauen Abrahams, und eine von ihnen wird heute in die Wüste gejagt werden, und dort wird sie herumirren, bis sie fast verhungert und verdurstet, aber der Finger, der auf uns gerichtet ist, zittert, hat noch nicht entschieden, wer von uns beiden verjagt wird, ich schaue zu unseren Söhnen hinüber, die zwischen den Wassergräben herumspringen, von weitem sehen sie in ihren dunklen Mänteln aus wie zwei Raben, gleich werden sie ihre schwarzen Flügel ausbreiten und mit düsterem Krächzen über uns hinwegflattern, ihre Flügel werfen Schatten auf die karierte Decke, aus ihren aufgerissenen Mündern dringen Schreie, Schreie von Kindern,deren Familien auseinander gebrochen sind, Schreie verlassener Frauen, Schreie von Männern, die aus ihren Häusern verjagt wurden, Schreie einer Liebe, die sich mit den Jahren abgenutzt hat. Ella, bist du in Ordnung, fragt sie, und ich lege mir die Hand auf die Stirn, ich habe plötzlich solche Kopfschmerzen, es tut mir Leid, und sofort füge ich hinzu, mach dir keine Sorgen wegen Jotam, er wird es hinkriegen, Gili hat es ziemlich leicht aufgenommen, wenn er erst mal versteht, dass er keines seiner Elternteile verliert, wird er sich beruhigen.
Heiser und angespannt klingt meine Stimme in meinen Ohren, wie kann man einen komplizierten Prozess so einfach zusammenfassen, einen Prozess, der kaum begonnen hat, aber wie könnte ich ihr jetzt all das sagen, was ich gestern zu ihrem Mann gesagt habe, wie könnte ich auf ihren Kummer reagieren, ich bin nicht aufrichtig zu ihr, und die ganze Zeit denke ich darüber nach, wie das Echo dieses Gesprächs ihr in Zukunft in den Ohren klingen wird, wenn sie die Wahrheit herausfindet, wie es ihr den Magen umdrehen wird, und deshalb muss ich es mit allen Mitteln abkürzen, ich darf die Gelegenheit, die mir in den Schoà gefallen ist, nicht für meine Zwecke nutzen, ich darf der Verlockung nicht nachgeben, ihr Fragen zu stellen, und sie schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als würde sie sich bemühen, zu erkennen, ob meine Worte nur so dahergesagt sind, um sie zu beruhigen, oder ob es wirklich so einfach ist, und ohne es zu merken, dreht sie an ihrem breiten Ehering. Wie habt ihr ihm erklärt, dass ihr euch trennt, fragt sie, und ich runzle schweigend die Stirn, als versuchte ich, mich daran zu erinnern, wir haben es ganz kurz gemacht, sage ich schlieÃlich, wir haben ihm versprochen, wir werden dich immer lieb haben, wir werden immer deine Eltern sein, auch wenn wir nicht mehr zusammenleben, dasWichtigste ist, Sicherheit auszustrahlen, deklamiere ich und betrachte sie misstrauisch, vielleicht stellt sie sich ja nur unwissend, vielleicht
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