Späte Familie
hat.
Vielleicht sollten wir abschlieÃen, schlägt er vor, und ich betrachte misstrauisch den Schlüssel, wir haben ihn nie benutzt, Amnon und ich, wir haben uns immer darauf verlassen, dass die Dunkelheit uns verbirgt, und auf seine Stimme, die seinen Schritten vorauseilen würde, aber jetzt wäre die Peinlichkeit gröÃer, also schlieÃe ich die Schlafzimmertür zu, der Schlüssel dreht sich schwer und lautlos im Schloss, und einen Moment lang habe ich Angst, dass sie sich vielleicht nicht mehr aufschlieÃen lässt, aber schon versinkt die Angst im zitternden Meer der Begierde, in der Erregung der Glieder, die darauf warten, geliebt zu werden. Der Computer wirft sein fahles bläuliches Licht ins Schlafzimmer, hier, wo fast sieben Jahre lang zwei Menschen schliefen, Tausendevon Nächten, aber diese Menschen scheinen mir so fremd zu sein, wie sie es für meinen Gast sind, ein unbekanntes Paar, Amnon und Ella, ist gerade in offensichtlicher Panik ausgezogen und hat Möbel, Geschirr, Kleidung, Bilder und sogar einen Sohn zurückgelassen, einen Jungen aus Fleisch und Blut, der in seinem Zimmer schläft und nicht merkt, dass die Bewohner gewechselt haben, und wenn er aufwacht, wird er erschrocken in meine Arme fliehen, als wäre ich seine richtige Mutter, obwohl ich ihr völlig fremd bin, dieser Frau, die hier Nacht um Nacht in diesem Bett geschlafen hat, fast sieben Jahre lang, und ich bin ihr dankbar, dass sie mir ihr bequemes Bett hinterlassen hat, das geräumige Zimmer, den Computer, vor dem jetzt ein Mann sitzt, von dessen Kuss meine Lippen brennen, dessen Lippen von meinen Küssen brennen und der fragt, darf man das lesen?
Unterägypten weint, o Wehklage, alles ist vernichtet, was man gestern noch sah, die Erde ist leer wie nach der Flachsernte, die Herzen aller Tiere weinen, die Rinder stöhnen, die Königssöhne werden auf die StraÃe geschickt, liest er mit Staunen in der Stimme, ich dachte, du bist Archäologin, hast du das geschrieben? Und ich sage, das ist ein Papyrustext, den man in Ãgypten gefunden hat, ein ägyptischer Weiser namens Ipuwer hat ihn geschrieben, es ist nicht klar, ob er die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft beschreibt. Wann hat er gelebt, will er wissen, und ich sage, wie bei allem in der Archäologie gibt es darüber unterschiedliche Ansichten, ich versuche zu beweisen, dass es eine Verbindung gibt zwischen den Ereignissen, die er beschreibt, und den Plagen Ãgyptens, aber die meisten Forscher glauben, dass es die ägyptischen Plagen nie gegeben hat, dass sie nur eine literarische Erfindung sind.
Spielt das überhaupt eine Rolle, ob sie wahr sind, sagt er, bei meiner Arbeit ist es fast egal, ob eine Geschichte, diemir jemand erzählt, wahr oder erfunden ist, für ihn, der sie erzählt, ist sie wahr, und ich sage, bei uns versucht man sozusagen zu einer objektiven Wahrheit zu gelangen, aber in vielen Fällen bleibt die Grenze verschwommen, ich versuche vermutlich etwas zu beweisen, was nicht zu beweisen ist, und er sagt, weiÃt du, dass Freud die Seele mit einer archäologischen Ausgrabungsstätte verglichen hat, er sah sich selbst als Archäologen der Seele, heute behauptet man, dass das Gehirn des Menschen wie ein archäologischer Hügel aufgebaut ist, seine Schichten liegen in umgekehrter Reihenfolge übereinander, von der jüngsten bis zur ältesten, und er fährt sich mit der Hand über den Kopf, als wollte er die verschiedenen Schichten markieren, und ich strecke mich ihm gegenüber auf dem Bett aus, spreize die Beine und lege meine Hand dazwischen, als wäre ich nackt, denn seine Augen wandern vom Computer zu der verborgenen Kreuzung des Körpers, er sagt, immer verbirgt sich dort ein Geheimnis bei euch Frauen, es fasziniert mich, dass ihr dieses Geheimnis überallhin mitnehmt.
Ich strecke die Hände nach ihm aus, komm zu mir, aber er bleibt aufrecht auf dem Stuhl sitzen, vor dem Computer, warte, sagt er, lass nicht jeden dein Geheimnis berühren, und ich sage, du bist nicht jeder, und er lacht, aber du kennst mich doch gar nicht, du weiÃt ja noch nicht einmal, ob ich nicht eine andere habe, und ich sage, in diesem Moment ist mir das egal, komm schon, und seine Finger gleiten über die Tastatur, weiÃt du, sagt er, bei uns zu Hause gab es eine SüÃigkeitenschublade, immer wenn mein Vater im Krankenhaus war, füllte meine Mutter die Schublade
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