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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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stilisierte Tore, ausgeklügelte Bewässerungsanlagen, doch letztlich waren es genau diese Ruinenhügel, die bewiesen haben, dass es nie ein vereinigtes Königreich gab, das sich auf Jerusalem gründete, ein gewaltiges Reich mit einer wunderbaren Hauptstadt, und dass das sagenhafte Reich Davids und Salomos nichts anderes war als ein kleines Land um Jerusalem, und es scheint, als hätte meine eigene Vergangenheit etwas mit der Vergangenheit jener Hügel zu tun, die wieder und wieder ausgegraben wurden und jedes Mal ein anderes Gesicht zeigten, und ich betrachte sehnsüchtig den sich wölbenden Bauch der Erde, der uralte Embryonen in sich trägt, Tausende von Jahren alt, die nicht geboren werden wollen. Da ist Megiddo, dort wachsen Dattelpalmen, Feigen und Johannisbrotbäume, fast zweihundert Stufen sind wir hinuntergestiegen, auf einer Treppe, die sich abwärts windet bis zu der unterirdischen Höhle, die in den Fels gehauen wurde, bis wir die Mitte des Berges erreichten,die Höhle neben dem Tel, erschaudernd betrachteten wir den Raum über der Quelle, dort waren zwei Skelette gefunden worden, direkt nebeneinander. Wasser tropfte vom Felsen in die Quelle und ließ ein Plätschern hören, so rhythmisch wie ein schlagendes Herz, wir waren allein, und Amnon sagte, wenn es jetzt ein Erdbeben gibt und der Eingang einstürzt, wird man von uns auch nur zwei Skelette finden, bestimmt glauben sie dann, wir wären Vater und Tochter.
    Nicht weit von hier erhebt sich der Tel Jesreel, der verletzte Tel, der versehrte, aufgedeckte, enttäuschende Tel, der den Streit entschieden hat, es war unmöglich, die Überreste der steinernen Paläste Salomo zuzuordnen, nur den berüchtigten Königen des Hauses Omri, ausgerechnet sie waren es, die den Traum der Bergherrscher verwirklichten und ein großes Reich errichteten, und die Erinnerung weckt in mir ein tiefes tröstliches Gefühl, wie ich es schon lange nicht mehr empfunden habe, wie glücklich war ich dort, auf diesem abgegrenzten Gebiet der Ausgrabung, immer wieder die Erde siebend, grau vom Staub.
    Als sich die Straße den Feldern nähert, wo undeutlich die letzten Blüten des Winters zu sehen sind, wird das Licht immer schwächer, ich schließe die Augen, stelle mich schlafend, und erst jetzt verstummt Maja, als wäre ihr unentwegtes Reden allein gegen mich gerichtet gewesen, und in die Stille, die sich in dem überheizten Auto ausbreitet, dringen auf einmal die Klänge eines einzelnen Cellos, vielleicht aus dem Radio, es klingt verwirrend wie die Stimme eines Menschen, eine Melodie, die sich immer wiederholt, wie ein Gedanke, der einen nicht loslässt. Wie viele Gesichter hat die Traurigkeit, jeder Ton drückt eine andere aus, und ich habe das Gefühl, als säße ich allein auf dem Rücksitz, das einzige Kind meiner Eltern, und lauschte widerwillig denErklärungen meines Vaters, die er mit seinen typischen Handbewegungen begleitet, das ist der Bergweg, das ist der Königsweg, das ist der Weg des Fleisches, hat er es wirklich so gesagt, der Weg des Fleisches, und im Auto war es immer glühend heiß, die Fenster offen, ein warmer Wind schlug mir ins Gesicht. Sind wir wirklich immer nur im Sommer gefahren, den Propheten folgend, den Königen, den Kreuzrittern, den Pilgern, Kriegen, in denen das Blut der Wörter vergossen wurde, unwirkliches Blut, das kaum zu betrauern war, das Blut vieler Menschen, fremder Menschen, die ohnehin schon lange tot waren, selbst wenn sie nicht in jenen Kriegen durch das Schwert gefallen wären, wären sie nicht mehr unter uns gewesen, und ich betrachtete seine immer ordentliche Frisur, der sogar der Wind nichts anhaben konnte, fragte mich, wann er endlich aufhören würde zu reden, und versuchte, mir seinen Kopf ohne Haare vorzustellen, seinen Kopf ohne Mund, würde er schweigen, wenn ich aus dem fahrenden Auto spränge, oder würde er einfach weiterreden, ohne zu bemerken, was passiert war? Die Christen nennen diesen Tel Armageddon, eine Abwandlung von Har Megiddo, er erhob seine Stimme und blieb mit quietschenden Reifen am Straßenrand stehen, im Neuen Testament wird dieser Ort erwähnt, hier soll der letzte Kampf zwischen den Söhnen des Lichts und denen der Finsternis stattfinden, er wandte sein Gesicht zurück, um sich zu vergewissern, dass ich auch zuhörte, du schläfst, schrie er mich an, ich rede mit dir und du schläfst,

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