Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
und meine Mutter verteidigte mich sofort, was willst du denn, sie ist müde, warum darf sie nicht ein bisschen dösen, und er schimpfte, wie immer, sie ist müde, weil sie wieder mal zu spät nach Hause gekommen ist, wer weiß, was sie dort gemacht hat, für ihre Partys hat sie Kraft genug, aber wenn ich versuche, ihr die Geschichte dieses Landes zu erklären,bringt sie kein Interesse auf, er wandte sich wieder zu mir, warnend, du solltest zuhören, das hat mehr mit dir zu tun, als du glaubst.
    Die Dämmerung taucht unsere Gesichter bereits in ein kühles Violett, als das Auto vor einem niedrigen Haus am Ende einer Straße stehen bleibt, und endlich löst sich Jotams Kopf von meiner Schulter, mir ist übel, murmelt er und fährt sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen, wann kommen wir an? Wir sind schon da, du Dummkopf, antwortet Maja spöttisch, siehst du das nicht? Er drückt sich an mich, Mama, sag ihr doch, und erst dann merkt er, dass ich nicht seine Mutter bin, und ich flüstere ihm zu, beachte sie nicht, du bist ein bisschen durcheinander, weil du geschlafen hast, ich bin bereit, mit ihm ein Bündnis gegen sie zu schließen, aber als wir ausgestiegen sind und sie sich ihm nähert, hüpft er leichtfüßig an ihre Seite, vergisst meine Schulter, die ihm als Kopfkissen gedient hat, und ich folge ihnen die schmalen Holzstufen hinauf, die zum Haus führen, Oded geht an der Spitze, die Taschen in der Hand, Maja hopst hinter ihm her, dann folgt Jotam und am Schluss ich, meine Stellung ist unklar, ich bin weder die Partnerin noch die Mutter, kein Au-pair-Mädchen und keine Freundin der Familie, auch ihr Vater scheint meine Anwesenheit vergessen zu haben, er dreht sich kein einziges Mal zu mir um, um sicherzugehen, dass ich noch da bin, er bleibt nicht stehen, um auf mich zu warten, bis ich plötzlich Lust bekomme, mich einfach davonzumachen und sie, unter den Willkommensrufen der Gastgeber, allein in dem erleuchteten Haus verschwinden zu lassen, mir die Tasche über die Schulter zu hängen und weiterzugehen, schließlich bin ich in jedem Haus, an dessen Tür ich zufällig klopfe, willkommener als in diesem. Vielleicht werde ich heute Nacht dort schlafen, auf dem Tel Jesreel, zwischen den Ruinen der königlichenAusgrabungsstätte, und mich mit Erde zudecken, und ich bleibe stehen und warte, dass die Tür sich hinter ihnen schließt, aber sie bleibt offen, und der grauhaarige Kopf einer Frau schaut heraus, Ella, sagt sie, als würden wir uns kennen, warum bleibst du draußen stehen, komm herein, es ist nicht so, dass wir Michal erwartet haben, wir sind auf dem Laufenden.
    Wenn du wirklich auf dem Laufenden wärst, würdest du wissen, dass ich hier nichts zu suchen habe, sage ich leise, überrasche mich selbst damit, aber sie lächelt auf eine natürliche Art und sagt, so fühlst du dich also? Na gut, wir werden bald über alles sprechen, und ich betrachte sie prüfend, ihr scharf geschnittenes Gesicht, die dicke Brille, die auf der schmalen Nase das Gleichgewicht zu suchen scheint, blasse Lippen, kurz geschnittene graue Haare, sie ist hoch gewachsen und nachlässig gekleidet, ihre alte Hose ist ausgeblichen und fleckig. Nun, komm doch, wenn du schon mal hier bist, sonst kommt die ganze Kälte rein, schimpft sie, plötzlich ungeduldig, und ich betrete hinter ihr das warme Haus, das von einem riesigen Ofen geheizt wird, er steht mitten im Wohnzimmer und schickt Rohre in alle Richtungen, die Kinder springen wild auf dem bunten Polsterlager vor dem eingeschalteten Fernseher herum, ein hoch aufgeschossenes, ernst aussehendes Mädchen sitzt auf dem Sofa, eine Gitarre in der Hand, und beantwortet unwillig Odeds höfliche Fragen, er hat schon eine Flasche Bier gefunden und sich gemütlich hingesetzt.
    Seid ihr hungrig, fragt die Frau, Dani ist nach Nazareth gefahren, um Chumus und Fladenbrot zu holen, wir essen gleich, und mit flinken Fingern räumt sie einen Stapel Zeitungen von dem riesigen Marmortisch, ich weiß nicht, warum ich diesen ganzen Mist lese, murrt sie, man müsste jeder Zeitung eine Antidepressionspille beilegen, wie sollman das alles sonst ertragen, sie wendet sich an Oded und fragt, sag, hast du jetzt mehr Patienten wegen der politischen Lage, schließlich können auch schon ganz normale Menschen von dem, was hier passiert, verrückt werden, und er antwortet, im Gegenteil, die Lage

Weitere Kostenlose Bücher