Späte Familie
dem unordentlichen Bettzeug ausstrecke, das ich vor gar nicht langer Zeit verlassen habe, denke ich an meinen Jungen, für einen Moment hatte ich ihn vergessen, als hätte ich ihn froh und zufrieden bei seinem Freund zurückgelassen. Mühsam stehe ich auf, sehe ihn in einer Ecke zusammengekauert, vermutlich hat er gelauscht und das Gespräch mitgehört, das nicht für seine Ohren bestimmt war, und ich höre wieder Gabis Stimme, auch meine, Amnonwird es nicht aushalten, und du trägst die Verantwortung, vor allem deinem Sohn gegenüber, es reicht, Gabi, hör auf, mir zu drohen, lass mich erst mal herausfinden, wo er ist, ich ruf dich dann sofort an, ein Gespräch, das gerade erst geführt worden ist und nun schon wie ein historisches Gerichtsdokument klingt, eine Zeugenaussage vor dem himmlischen Gericht, und dann richtet er sich auf und kommt schwankend auf mich zu, Mama, ich bin müde, jammert er, kann ich bei dir schlafen? Natürlich, mein Schatz, sage ich und strecke ihm die Hand hin, komm, wir ruhen uns beide ein bisschen aus, und er legt sich angezogen und mit Sandalen neben mich, dreht mir den Rücken zu und ist zu meinem Erstaunen im nächsten Moment eingeschlafen.
Nie werde ich von diesen Gesichtszügen genug bekommen, ein kleines entschlossenes Geschöpf, ein Tierjunges, noch ohne Krallen, als wäre es gerade geboren worden, ich betrachte ihn genau, die Verstörung ist auf seinem Gesicht abzulesen, werden seine Augen, die meinen ähneln, immer mit den Lippen streiten, die aussehen wie Amnons, ein neues Scheidungskind, das sogar körperlich gezeichnet ist. Nur mir sieht er ähnlich, hat Amnon bei jeder Gelegenheit betont, von dir hat er überhaupt nichts, du bist nur die Leih-mutter, ehrlich, schau ihn dir an, und er hat ihn mit einer solchen Befriedigung betrachtet, als wäre Gili seine Verlängerung auf Erden, doch zugleich fällt es ihm schwer, die immer deutlichere Unterschiedlichkeit ihrer Persönlichkeiten zu akzeptieren. Was ist er doch für ein Jammerlappen, hat er oft genug gesagt, ich habe nie gejammert, das hat er von dir, ich konnte in seinem Alter schon lesen und schreiben, ich verstehe nicht, warum er dazu so lange braucht. Er bewegt sich immer zwischen vollkommenem Stolz und vollkommener Distanzierung, und Gili klammert sich dannängstlich an mich, er weiÃ, wie leicht Amnons Lob umschlagen kann.
Amnon, er ist nicht du, weder im Guten noch im Bösen, akzeptiere das endlich, habe ich immer wieder auf ihn eingeredet, nimm ihn an, wie er ist, und Amnon schlug sofort zurück, ausgerechnet du musst das sagen, du bist es doch, die nicht bereit ist, mich so zu nehmen, wie ich bin, hör auf, mir eine Moralpredigt zu halten, und ich sagte, das ist doch nicht dasselbe, bei Kindern ist es etwas ganz anderes. Du hilfst ihm wirklich nicht, wenn du ihn die ganze Zeit beschützt, so viel ist sicher, du gibst zu schnell nach, fuhr er mich an, du ziehst ihn auf wie einen kleinen Prinzen, so bereitet man keinen Jungen auf das Leben vor, und ich sagte, aber genau so bist du erzogen worden, vielleicht bist du nur eifersüchtig, weil hier ein weiterer Prinz geboren wurde, und er schnaubte verächtlich, verschone mich mit deinen Theorien, vielleicht wäre es besser, wir würden ihn getrennt erziehen, das ist wirklich nicht gesund für ihn, immer diese Streitereien, und ich sagte, kein Problem, komm, trennen wir uns, aber die Worte, unentschlossen und ohne Nachdruck dahingesagt, lösten sich schnell auf, als wären sie nie ausgesprochen worden, bis die Absicht langsam und unmerklich reifte, sich den Worten anschloss und sie klar und spitz wie Pfeile machte, gegen ihn gerichtet.
Hörst du, Gabi, ich beteilige mich nicht an seinen Spielchen, das ist es doch genau, was er will, dass meine Sorge ihm die Tür nach Hause öffnet, er benimmt sich wie ein pubertierender Junge, der seine Eltern zum Nachgeben zwingen will. Zu was will er denn zurückkehren, zu endlosen Wortgefechten, zu stichelnden Reibereien, ich weià ja, aus dem Erlöschen der groÃen Liebe erwächst manchmal Freundschaft, die sogar noch einzigartiger und kostbarer sein kann als die Liebe, aber bei uns ist nur Rivalität aus denRuinen gewachsen, bittere, kleinliche, boshafte Rivalität, wir sind wie zwei Geschwister, die nicht aufhören können zu zanken. Obwohl ich jetzt mit Gabi spreche, sehe ich nicht sein Gesicht vor mir, sondern das Gesicht
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