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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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eines groß gewachsenen, gut aussehenden jungen Mannes mit herbstlaubfarbenen Augen und kleinen Muttermalen auf den milchigblassen Wangen, mit empfindsamen Lippen, ich spreche jetzt zu Gili, wie er später sein wird, zu dem jungen Mann, der in gar nicht allzu vielen Jahren vor mir sitzen wird, der einzige Sohn seiner Eltern, ein junger Mann, dessen Leben durcheinander geriet, als er sechs Jahre alt war, und der versucht, das zu rekonstruieren, was sein kurzes Familienleben ausmachte, schließlich bin ich nur ihm Rechenschaft schuldig.
    Ich drehe mich auf unserem Ehebett von einer Seite zur anderen, versuche, den Jungen nicht aufzuwecken, und der dunkle Leinenvorhang bewegt sich im Nachmittagswind, verbirgt das Licht und gibt es wieder frei, mir ist, als würde ein Finger mit dem himmlischen Lichtschalter spielen, bis einem die Augen wehtun. Amseln mit gelben Schnäbeln sammeln sich auf einem Ast der grau werdenden Zypresse vor dem Fenster, von Monat zu Monat nimmt die Zahl ihrer grünen Blätter ab und die Zahl der Würmer zu, die ihre Blätter abnagen, man wird den Baum vor dem Winter fällen müssen, ich glaube, diesmal wird er der Gewalt des Windes nicht mehr standhalten.
    Ich spüre den Zorn des Baums und drehe mich auf den Bauch, ein tiefer Hunger geht von ihm aus, gleich wird er eine gierige Hand nach meiner Kehle ausstrecken, um sich etwas zu pflücken, was seinen Hunger stillen kann, und mir fallen die Sternenkekse ein, die Jotams Vater gierig vor meinen Augen verschlang, ich wünschte, ich hätte jetzt solche Kekse neben mir, und mit ihnen die kräftigen Lippen, diesich nicht von ihnen lösten, meine Lippen schieben sich ihnen entgegen, spannen und wölben sich, mein ganzes Gesicht besteht aus hungrigen Lippen, wie provozierend er die Stirn seines Sohnes geküsst und mich dabei angeschaut hat, ich kichere leise unter der Decke, wie ein junges Mädchen, das sich ein aufregendes Geheimnis bewahrt, und ich beuge mich über den schlafenden Gili und küsse ihn zart auf die Stirn, feucht, lange.
    Genau über seinem Kopf, wie eine Blase, die aus seinem Unterbewusstsein aufsteigt, hängt das eingerahmte Foto, ich betrachte es und nehme es von der Wand, der wacklige Nagel, der es gehalten hat, fällt sofort heraus, streut etwas Kalkstaub auf Gilis Gesicht, ich blase vorsichtig darüber, betrachte das Bild, drei lächelnde Gesichter, wie drei drohend erhobene Finger, ein irritierender Beweis dafür, dass wir auch noch Momente des Glücks haben konnten, und sie sind gar nicht so lange her. Hier drängen wir uns unter einem schwarzen, mit Schneeflocken bedeckten Regenschirm zusammen, Amnon bückt sich angestrengt, hält den Schirm wie einen Schutzschild über uns, Gili sitzt auf seinem Schoß, mit roten Wangen, das Gesicht voller Schnee, und ich, ich muss zugeben, dass ich das bin, lächle zufrieden zwischen meinen beiden Männern, eine Hand im roten Fäustling auf Amnons Arm, eine Sonnenbrille auf der Nase, nein, niemand hätte es ahnen können, nichts auf dem Bild deutet auf das nahe Ende hin. Wir waren an jenem überraschend weißen Morgen hinuntergegangen in den Hof, das Glück des Jungen hat uns angesteckt, und haben die Nachbarn gebeten, uns zu fotografieren, dann machten wir uns noch die Mühe, das Foto zu rahmen und aufzuhängen.
    Ja, es gab solche Tage, als ich nicht mehr wollte, als dass wir drei zusammen waren, drei in einem Haus, drei im Auto, drei im Flugzeug, wie ein kleines Mädchen zwischenVater und Mutter, bleib bei uns, lauf nicht weg, bat ich immer, und Amnon sagte dann etwas von Arbeit, von dringenden Telefongesprächen oder Terminen, früher waren wir zu zweit, zischte er, hast du schon vergessen, was das ist, ein Paar? Und trotzdem – wie natürlich, wie selbstverständlich war diese Dreiergruppe, die da im Schnee stand, im Auto fuhr, zu Abend aß, doch von nun an wird jedes Treffen zu dritt so traurig sein wie eine Begräbnisfeier, und auch nach Jahren, wenn der Schmerz abgestumpft sein wird, werden ein einziges Wort, ein einziger Blick ausreichen, um uns zu erinnern, heute ist der hundertste, der zweihundertste, der fünfhundertste Tag seit unserer Beerdigung.
    Plötzlich ist nichts mehr unschuldig, nicht der Schlaf des Jungen noch der Blick des fremden Mannes mit seinem Mitgefühl für ein Leid, das nicht seines ist, nicht die Kekse, die sich im Kaffee auflösen, und nicht das

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