Späte Familie
Plötzlich hört er auf zu kauen und schaut mich an, leckt seine Finger mit den bräunlichen Kuppen, und aus seinen Augen unter dunklen Bögen, die wie Regenwolken über ihnen hängen, kommt ein Blick, tief und schwer, und er fragt, ist alles in Ordnung mit Ihnen? Ich versuche zu lächeln, warum fragen Sie das? Er sagt, weil Sie besorgt aussehen, und statt zu antworten, nehme ich mit der freien Hand eine Serviette und wische mir die Tränen aus den Augen, alles in Ordnung, möchte ich sagen, das alteLachen und das neue Weinen mischen sich, süà und salzig, eine unmögliche Kombination, und ich presse die Lippen zusammen, um den Seufzer zurückzuhalten, der in mir aufsteigt.
Hören Sie etwas? Vielleicht weint eines der Kinder?, frage ich vorsichtig, und er sagt, nein, ich höre nichts, aber seine Stimme hat den beruhigenden Klang verloren, die Worte rollen schnell über seine Lippen, die scheinbare Gleichgültigkeit ist gespielt, Worte, die etwas verwischen sollen, waren Sie gestern bei der Schabbatfeier? Ich erinnere mich nicht an Sie, ach ja, ihr seid zu spät gekommen, was für eine gezwungene Zeremonie das war, es ist immer dasselbe, warum gibt es nie etwas Ãberraschendes, ich habe schon genug Zeremonien mit unserer groÃen Tochter mitgemacht, Gili ist Ihr erstes Kind, nicht wahr, fragt er, und ich antworte, ja, das erste und letzte. Ist es so schlimm, fragt er lächelnd, und ich sage, im Gegenteil, so gut, und er sagt, das verstehe ich nicht. Dann ist das Knarren einer sich öffnenden Tür zu hören, und wir schauen beide zum Flur, eine misstrauische Erwartung zeigt sich auf seinem Gesicht, als könne dort gleich eine weitere fremde Frau auftauchen, aber es sind unsere Kinder, die aus der Tür rennen, und wieder staune ich über die Ãhnlichkeit zwischen ihnen und frage mich, ob er sie auch sieht. Papa, kriegen wir Kakao, zwitschert Jotam, kriegen wir Kekse? Sein Vater zieht ihn zu sich heran, krieg ich vorher einen Kuss? Ich habe heute Morgen noch keinen Kuss bekommen.
Wie ein kleiner Affe klettert sein Sohn auf seine Knie und küsst seinen Hals an der Stelle, wo die Haut schlaff ist, und gleichzeitig drücken sich die schönen, vollen, nach Kaffee und Keksen schmeckenden Lippen auf die Stirn des Jungen zu einem lauten, demonstrativen Kuss, aber seine Augen schauen mich dabei an, und ich schiebe meine Zunge überdie Lippen, ein angenehmer Schauer durchfährt mich wie die zarte, lang verschüttete Erinnerung an eine frühere Liebe, nicht wie sie war, aber wie sie hätte sein können. Papa, deine Küsse sind zu feucht, Jotam windet sich, befreit sich aus der Umarmung, schnappt sich den Teller mit den Keksen und hält ihn Gili hin, hier, nimm, die haben meine Mama und ich zusammen gebacken, aber Gili streckt die Hand nicht aus, erst jetzt fällt mir auf, dass er mich prüfend betrachtet, mit einem erwachsenen, gekränkten Blick, der mich an Amnons Blick in den letzten Wochen erinnert, und er sagt, ich habe keinen Hunger, obwohl er Kekse sonst nie ablehnt, und Jotam nimmt ihn am Arm, komm schon, gehen wir in mein Zimmer zurück, aber Gili drückt sich plötzlich an mich, legt seinen Kopf auf meine Knie und murmelt, ich will nach Hause.
Nach Hause, fragt Jotam erstaunt und protestiert gekränkt, aber du bist doch gerade erst gekommen, wir haben doch noch nichts gemacht, komm spielen, komm, kleben wir Bilder ein, du kannst meine Doppelten haben, aber Gili weigert sich, seine Fröhlichkeit ist plötzlich verflogen. Bald kommt mein Papa zu mir, versucht er sich herauszureden, ich will daheim auf ihn warten, und Jotam sagt, du kannst deinen Papa doch später sehen, und Gili erklärt ihm geduldig, mit bedrückter Stimme, aber mein Papa wohnt nicht mehr bei uns, später ist er schon nicht mehr da, weil meine Mama nicht erlaubt, dass er bleibt, und plötzlich wenden sich alle Augen mir zu, auch die dunklen, schwarz umringten, und Jotam betrachtet mich zurückweichend, als wäre ich ein Ungeheuer, und fragt, warum erlaubst du nicht, dass er bleibt? Ich versuche zu lächeln, es ist nicht so, dass ich es nicht erlaube, wir haben eine Abmachung, aber das ist wirklich kein Problem, Gili, ich verspreche dir, dass du Papa nachher siehst, ich rufe ihn gleich an und sage ihm, er sollspäter kommen, aber Gili hält an seiner schlechten Laune fest, lässt sich nicht von seinem Entschluss abbringen, auch nicht
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