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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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deine blauen Augen blitzten in deinem braunen Gesicht, du hast dich zu mir gebeugt, mir deine große Hand hingehalten und gefragt, bist du mit deiner Klasse hier? Du hast mich für eine Gymnasiastin gehalten, ich habe dich vergnügt korrigiert, mit was für einer Klasse, ichbin schon fast mit dem Studium fertig, und erst in diesem Moment sah ich, dass das graue Hemd, das dir am Körper klebte, nur Staub war, und als du mich weiter anschautest, senkte ich den Blick und arbeitete weiter, klopfte, die Sandschicht ab, die an meinen Händen kleben blieb, klopfte, wie man an eine Tür klopft, einen Meter unter der Erde, Tausende von Jahren unterhalb unserer Gegenwart, ich werde ein Haus finden, und es wird mir gehören, die Knochen eines Mädchens werde ich dort finden, und sie wird meine Schwester sein, sie saß gewiss hier im Ausgrabungsquadrat, dessen Ränder mit Sandsäcken befestigt waren, wie in Kriegszeiten. Ich fuhr fort, mir demonstrativ die Erde abzuklopfen, ich sehe noch vor mir, wie du nachdenklich herumgewandert bist, du strahltest Sicherheit aus, deine Jeans waren schmutzig und nachlässig an den Oberschenkeln abgeschnitten, dünne Fäden hingen herunter, und dann kamst du mit schnellen Schritten zu mir zurück, deutetest befriedigt auf mich, als hättest du ein Rätsel gelöst, jetzt weiß ich, wo ich dich gesehen habe, du bist an die Wand von Thera gemalt, der minoischen Ausgrabungsstätte, man nennt dich die Pariserin, und ich fragte, wo? Und du sagtest, in Thera, das ist der alte Name für Santorini, die Insel, die auseinander brach, warst du noch nie dort? Es sind wunderschöne Wandzeichnungen erhalten geblieben. Zu meinem Erstaunen zogst du ein Dia aus der Hosentasche, und ich betrachtete es gegen das Licht und sah meinen dunklen Blick in einem blassen, eleganten Gesicht. Kaum zu glauben, hast du gemurmelt, du hast dich zu mir gebeugt und mir ins Gesicht geschaut, du existierst schon seit viertausend Jahren.
    Vielleicht ist er dorthin zurückgekehrt, zu dem zerstörten Tel Jesreel, zu der königlichen Ausgrabungsstätte, die von einem tiefen Graben umgeben ist und über die reichen Täler des Nordens blickt, deren Städte in Flammen aufgegangensind, eine nach der anderen, Beit She’an, Tanach, Megiddo. Vielleicht ist er dorthin zurückgekehrt, zu der Stätte, die nur wenige Jahre nach ihrer Gründung bereits zerstört worden war und nie wieder die Bedeutung erlangte, die sie einmal gehabt hatte, zu der quadratischen, mit Staub bedeckten Ausgrabungsstätte, wie still ist es dort bei Nacht, still und gefährlich, und ich stütze mich an die Wand, sehe seinen Körper vor mir, von Kopf bis Fuß mit Staub bedeckt wie von einem Gewand, sehe, wie er still und kalt auf dem Boden der Ausgrabungsstätte liegt wie in einer antiken Grabhöhle, wie wenig lassen wir doch zurück, und diese schreckliche Vision packt mich mit Gewalt, bis ich das Gefühl habe, dass meine Hüften brechen, wieder und wieder versuche ich, ihn anzurufen, hinterlasse sanfte Nachrichten, ich mache mir Sorgen um dich, ich habe nicht gedacht, dass du es so schwer nimmst, so oft hast du mir mit einer Trennung gedroht, ich habe gedacht, dieser Schritt wäre für uns beide richtig, ich habe dir nichts Böses antun wollen, und von Minute zu Minute wird mir klarer, dass dies vielleicht kein dummer Streich ist, sondern der Anfang jener Katastrophe, die mein Vater vorausgesagt hat, und von Minute zu Minute wird mir klarer, dass von mir nur eines verlangt wird, das Schwerste und zugleich auch das Leichteste, das Erhabenste und das Wertloseste, das Vernünftigste und das Gemeinste, von mir wird verlangt, dass ich aufgebe, weil es um die Rettung eines Lebens geht, denn die Katastrophe bewahrheitet sich, und das Glück ist zweifelhaft, ich muss aufgeben, wie sie aufgegeben haben oder aufgeben werden, sie, die Mütter, die auf den Decken saßen und sangen, Friede mit Euch, dienende Engel, Engel des Höchsten, des Königs aller Könige, des Heiligen, gelobt sei er. Ich muss aufgeben, wie unsere Mütter aufgegeben haben, ohne jedes Zögern, denn das ist das Urteil des göttlichen Richters, verstocketeuer Herz nicht, wie zu Meriba geschah, wie zu Massa in der Wüste, und dann stehe ich aufrecht da, ernst und angespannt, als stünde ich bei der Gedenkzeremonie auf der Bühne, alle Augen sind auf mich gerichtet, und im Hintergrund hört

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