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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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gesagt, er hat nichts mehr, wofür er leben kann, und lauter solche Sachen, die ich noch nie von ihm gehört habe. Widerwillig greife ich nach dem Hörer, he, Gabi, ich bin gerade reingekommen, was ist los?
    Es ist passiert, was ich befürchtet habe, murrt er, er ist völlig am Boden, du kennst ihn doch, er ist daran gewöhnt, dass ihm alles leicht fällt, jetzt ist er zerbrochen, er hält es nicht aus, er kann damit nicht umgehen.
    Gestern war er noch ganz in Ordnung, es hat mich beeindruckt, wie gut er damit zurechtkommt, sage ich und weigere mich, in die allgemeine Besorgnis einzustimmen, die Gabi, trotz seiner bekundeten Anteilnahme, ganz offensichtlich auch genießt, aber er wehrt meine Worte ab, was heißt zurechtkommen, er hat versucht, sich zusammenzureißen, wegen Gili, aber bei mir hat er wie eine lebende Leiche gesessen, er hat nichts gegessen und kein Wort gesagt und die ganze Zeit nur geweint wie ein kleines Kind, glaub mir, ich mache mir nicht umsonst Sorgen, ich kenne ihn, seit er sechs war, ich kenne ihn viel besser als du. Ich versuche,mich diesmal nicht in diesen Wettstreit mit ihm ziehen zu lassen, jahrelang haben wir um Amnons Aufmerksamkeit gewetteifert, ohne Ergebnis, und frage, hast du schon bei Uri und Tami angerufen? Oder bei Michael? Und er sagt, klar, ich habe es schon überall versucht.
    Wo kann er dann sein, das Erschrecken fängt schon an, in meiner Kehle zu picken wie ein Vogel mit spitzem Schnabel, zu Gabis großer Freude, endlich begreifst du, dass die Lage ernst ist, ruft er, was hast du denn gedacht? Dass er sich freundlich verabschiedet und seiner Wege geht und nebenbei weiterhin ein wunderbarer Vater für Gili ist? Du hast ja keine Ahnung, er ist nicht der starke Mann, wie er uns immer vormacht, innerlich ist er wie aus Papier, das sofort zerreißt, ich weiß das schon seit Jahren, deshalb habe ich mich bei seinen Fehlern oft zurückgehalten, meiner Meinung nach hättest du das ebenfalls tun sollen.
    Ich versuche, die Herrschaft über meine Stimme zurückzugewinnen, du übertreibst, Gabi, meinst du wirklich, ich hätte bis an mein Lebensende bei ihm bleiben müssen, aus Mitleid oder aus Angst, dass er zerbrechen könnte? Glaubst du, damit könnte er leben?
    Ja, antwortet er bestimmt, damit könnte er leben, und zwar nicht schlecht, und auch du würdest dich letztlich damit abfinden. Warum hast du es so eilig, dich wieder auf den Markt zu werfen? Es hat sich viel verändert, seit du Junggesellin warst, Ella, da ist vor allem dein Alter. Du hast keine Ahnung, wie es da draußen zugeht, welche Typen du treffen wirst, die Leute sind gestört, einer wie der andere, Amnon wird dir im Vergleich zu ihnen wie ein Glücksfall vorkommen, ich will dir das Leid ersparen, Ella, lass ihn zurückkommen, und Schluss, und lass uns beten, dass es nicht schon zu spät ist, dass er sich noch nichts angetan hat.
    Aber Gabi, du verstehst nicht, worum es geht, aus irgendeinemGrund möchte ich ihm unbedingt meinen Standpunkt klar machen, ich habe kein Interesse daran, jetzt jemand anderen kennen zu lernen, ich suche nicht nach einem neuen Mann, ich möchte allein sein, und er unterbricht mich grob, das glaubst du nur jetzt, es gibt keine Frau, die nicht mit jemandem zusammenleben will, es gibt keine Frau in deinem Alter, die nicht noch ein Kind haben will, das kaufe ich dir nicht ab, aber es ist ja auch egal. Im Moment darfst du ihn nicht verlassen, du hast ihn aus freiem Willen geheiratet, niemand hat dich gezwungen, im Gegenteil, wenn hier einer gedrängt hat, dann warst du es, korrigiere mich, wenn ich mich irre, stichelt er, eine Heirat ist keine Bagatelle und ein gemeinsames Kind erst recht nicht.
    Ich halte dagegen, in welcher Welt lebst du denn, man kann sich immer trennen, wir sind doch keine Katholiken, du bist selbst geschieden, warum sollst du es dürfen und ich nicht? Weil du ein Mann bist und ich eine Frau? Und er antwortet sofort, nein, weil ich gewusst habe, dass die Folgen meiner Scheidung erträglich sein würden, aber eines ist mir klar, Amnon wird es nicht aushalten, und du trägst die Verantwortung, vor allem deinem Sohn gegenüber. Ich atme schwer, es reicht, Gabi, hör auf, mir zu drohen, lass mich erst mal herausfinden, wo er ist, ich ruf dich dann sofort an, aber statt mich auf das Telefon zu stürzen, falle ich ins Bett, begleitet von einem heftigen Schwindelgefühl, und erst als ich mich auf

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