Späte Familie
Telefon, das nicht abgenommen wird, alles erzeugt Angst, und einen Augenblick lang blendet das neue Leben meine Augen mit einem unerträglichen Glanz, dann wieder wirkt es dunkel und bedrohlich wie ein Urwald. Dort gehen wir zwischen Bäumen spazieren, sie sind lang und schlank wie Lanzen, und suchen einen Friedhof, um unsere Liebe zu begraben, bevor es Abend wird, wollen wir zurück sein, um nicht mit der Leiche die Nacht verbringen zu müssen. Mit bloÃen Händen graben wir in der feuchten Erde, wo finden wir einen passenden Platz für sie, eine Liebe, die sich abgenutzt hat, die krank geworden ist, ihr Körper wie der eines Menschen, der in seiner guten Zeit stark und stabil war, eine Liebe, die nun aber, da sie auf der Bahre zu Grabe getragen wird, so klein aussieht wie ein Vogel, und alle Nahestehenden wundern sich, ist sie das wirklich, wie auffällig klein sie in den Monaten ihrer langen Krankheit geworden ist. Gleich wird sie von der Erde verschluckt werden, aber wir sind dazu verurteilt,das Haus unseres Lebens neu aufzubauen, genau über dem frischen Grab, wie die Bewohner einer zerstörten Stadt immer wieder zurückkommen und ihre Häuser auf den Trümmern aufbauen, nichts ahnend gehen wir darauf umher, im Sommer mit Sandalen und im Winter mit schweren Schuhen, wir werden das Haus mit neuen Teppichen auslegen und Möbel hineinstellen, und nur manchmal erinnern wir uns erschauernd an die Leichen unter dem Fundament unseres Hauses.
Der kalte Luftzug eines Herbstabends weckt mich aus dem düsteren Schlummer, die Decke klebt an Gilis Körper, und ich zittere in meinen Kleidern vor Kälte, aber meine Glieder schlafen noch, wie kann ich so aufstehen und die Decke vom Schrank holen, und wieder betrachte ich den toten grauen Baum, vielleicht wird er über mir zusammenbrechen und mich mit seinen Zweigen bedecken, eine letzte Barmherzigkeit zum Abschied, bevor der schwere und bedrückende Winter kommt, und wieder schlafe ich ein, umarme die trockenen Zweige, und in das Schweigen dieses seltsamen lähmenden Tages dringt über den Anrufbeantworter wieder die aggressive Stimme Gabis, meines alten Feindes, der Amnon schon seit Jahren gegen mich aufhetzt und versucht, ihn mit seinen Geschichten für die Freuden des Junggesellenlebens zu begeistern. Ella, er ist verschwunden, ich weià nicht, wo er noch sein könnte, niemand hat etwas von ihm gehört, sein Handy ist ausgeschaltet, wir müssen gemeinsam überlegen, was wir machen sollen, sonst rufe ich die Polizei an, und erst da stehe ich auf, meine schläfrige Schwäche ist plötzlich verschwunden, und ich werde von einer fieberhaften Wachheit gepackt, das Herz pocht in meiner Brust, und ich laufe in den Zimmern herum, als suchte ich nach einem Zeichen, gehe die Namen von Bekannten im Notizbuch durch, wähle hastig, ohnenachzudenken, bringe mich selbst durch überflüssige Gespräche in Verlegenheit, nur um gleich den nächsten anzurufen, und bleibe doch ohne Anhaltspunkte.
Wo bist du? Sogar meinen Liebsten werde ich dich nicht mehr nennen, weil das Herz, dem du teuer warst, vor dir verschlossen ist, und den Geliebten meiner Jugend werde ich dich nicht nennen, weil es andere vor dir gab, und meinen Mann werde ich dich nicht nennen, weil mir dieses Wort verhasst ist, und Vater meines Sohnes werde ich dich nicht nennen, weil du diese Ehre nicht gewollt hast, und alle anderen Besitz- und Koseworte liegen zwischen uns wie billiges Spielzeug in der Schublade eines erwachsen gewordenen Kindes, uns sind weder Worte noch zarte Gefühle geblieben, nur Erinnerungen an eine verblasste Liebe, schmutzig wie Servietten nach einem Festessen.
Wo bist du, Amnon, ich spreche deinen schönen Namen, den Namen, den ich immer geliebt habe, den nicht ich dir gegeben habe und den ich dir nach dem Ende meiner Liebe nicht nehmen kann, den Namen eines schwachen wollüstigen Königssohns, und damals, als du dich vorstelltest, hätte ich fast gesagt, und ich heiÃe Tamar, so sehr wollte auch ich die Tochter eines Königs sein, deine Halbschwester, und dich mit einer lange vergangenen Geschichte an mich binden, einer bitteren Geschichte, aber damals sah ich in meiner Fantasie nur ihren verlockenden Anfang vor mir. Und es begab sich: Absalom, der Sohn Davids, hatte eine schöne Schwester, die Tamar hieÃ; und Amnon, der Sohn Davids, gewann sie lieb ⦠Du hast mir zuliebe deine Sonnenbrille abgesetzt, und
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