Späte Familie
sehen, wie schnell die Spuren wieder verschwinden, sich mit neuem Weià bedecken, und ich gehe weiter, an einer jungen Mutter vorbei, die ein quengelndes Kind hinter sich herzieht, mir ist kalt, weint der Kleine, meine Finger sind erfroren, und sie zieht ihn weiter, natürlich ist dir kalt, ich habe dir ja gesagt, du sollst Handschuhe anziehen, warum hast du das nicht gemacht, ihr verärgerter Blick streift mich, und es scheint mir, als sei sie neidisch auf mich, weil ich so frei bin, ich konzentriere mich auf meine Freude, ja, das ist erlaubt, das ist sogar möglich, Gili freut sich dort und ich freue mich hier, weiÃe Flammen lodern zwischen ihm und mir, wie Leuchtfeuer über Berggipfeln.
Als ich ihr Haus erreiche, mit wilden Haaren und erhitzt vom langen Gehen, hat das Essen schon seinen Höhepunkt erreicht, der üppige Fleischduft eines Tscholents, der schon die ganze Nacht auf dem Herd geköchelt hat, empfängt mich, der Geruch von Wein und Parfum, von Schweià und Zigarettenrauch schlägt mir in der geheizten Wohnung entgegen, Dina steht auf und begrüÃt mich, sie trägt einen schwarzen Pullover, so lang wie ein Kleid, ihre braunen Augen mustern mich überrascht, die Ãderchen auf ihren Wangen sehen aus wie Blattadern, sie umarmt mich, wie schön du aussiehst, und sofort flüstert sie mir entschuldigend ins Ohr, er ist noch nicht da, er müsste jeden Augenblick kommen, und es fällt mir schwer zu verstehen, was sie meint, lass mich, sage ich, das habe ich schon vergessen, schlieÃlich geht es mir viel besser so, wenn ich einfach zwischen Fremden sitze und niemanden beeindrucken muss.
Du wirst es nicht glauben, sie tun Pesto in den Tscholent, sagt jemand ernst zu Dina, ein nicht mehr junger Mann mit einem Bauch, der an die Tischkante stöÃt, und mit unruhig rollenden, nach Zustimmung suchenden Augen, die Leute sind heute vollkommen verrückt geworden, sie verderben alles, was gut ist, was ist schlecht an einem traditionellen Tscholent, warum muss man da Pesto reinrühren? Er seufzt, als handelte es sich um einen Anschlag auf sein Leben, und die Frau, die neben ihm sitzt, vermutlich seine Ehefrau, distanziert sich schnell von ihm, ich mag Pesto, verkündet sie, er ist so konservativ, fügt sie entschuldigend hinzu, und er beschimpft sie sofort, du verstehst überhaupt nichts, ich mag Pesto auch, aber nicht im Tscholent.
Die Stärke der Emotionen, die in das Gespräch über Pesto gelegt werden, kitzelt meine Nasenlöcher, ich halte die Hand vor den Mund, um mein Lachen zu verbergen, beobachte Dinas Bemühen, das Thema zu wechseln, aber Herr Pestoist nicht bereit nachzugeben, wir alle sind jetzt dazu aufgerufen, über ihn und seine Frau zu urteilen, und mir scheint, dass er nicht aufgibt, bis sie selbst bereit ist, ihren schrecklichen Fehler zuzugeben, was ist schlecht daran, ein bisschen konservativ zu sein, ruft er, sie glaubt, es macht sie jünger, wenn sie jeder Mode nachrennt, sie will die Kinder beeindrucken, ich hingegen wäge alles genau ab, Pesto mit Pasta mag ich, Pesto mit Tscholent nicht, erklärt er, und ich springe auf und renne zum Badezimmer, ich ersticke fast vor Lachen, die Augen von Frau Pesto folgen mir, in ihrem Blick liegt eine uralte Kränkung. Auf dem Rückweg wird sie zu ihm sagen, das war nicht in Ordnung, wie du mit mir gesprochen hast, und er wird sagen, bist du beleidigt? Ich bin gekränkt, du widersprichst mir immer, nie würdest du bei irgendetwas zustimmen, was ich sage, wie gut ich ihr Gespräch kenne, als hätte ich es mein Leben lang geführt, und jetzt bin ich es plötzlich los.
Als ich zu dem groÃen Tisch zurückkomme, unterhalten sie sich über Jerusalem, schon etwas weniger aufgeregt, sie will die Stadt verlassen, beklagt sich der Mann, jetzt, da ich mich endlich an die Stadt gewöhnt habe, will sie plötzlich nach Tel Aviv umziehen, und die Frau neben mir, eine von Dinas alten Freundinnen, sagt, das ist nicht so einfach, ich habe ein paarmal versucht, aus Jerusalem wegzuziehen, und habe es nicht geschafft, immer bin ich zurückgekommen, es ist die interessanteste Stadt der Welt, und Dina sagt, vielleicht für dich, denn du betrachtest sie mit den Augen einer Fotografin, für normale Menschen kann sie bedrückend sein, was haben wir hier schon zu bieten? Armut, Ãrger, religiösen Fanatismus.
Der Mann mir gegenüber unterbricht sie schnell, was wir zu
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