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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Grabungsstätte deutete, dort sieht man die Anhäufung der Schichten, schaut nur, wie schmal die Schicht ist, die eine ganze Kultur darstellt, schaut, wie wenig wir zurücklassen, und an den dämmrigen Nachmittagsstunden dieses Winters, während Gili mit einem seiner Freunde in seinem Zimmer spielt, sitze ich vor dem Computer, Papiere und Landkarten auf den Knien, Fotos, Aufsätze, wie wenig hast du zurückgelassen, Amnon, schreibe ich, wie wenig hat unsere zehn Jahre alte Familie zurückgelassen, und manchmal stelle ich mich ans Fenster, sehe die kräftigen Ranken des schnell wachsenden Efeus, die sich verflechten, und das Staunen über die Vergangenheit breitet sich im Haus aus, traurig und anhaltend wie die vokalen Verzierungen des Kantors, derschon für die Feiertage übt, von diesem Jom Kippur zum nächsten.
    Von Zeit zu Zeit werde ich durch das Telefon gestört, durch ein Klopfen an der Tür, alle möglichen Bekannten nehmen sich die Freiheit, mich zu besuchen, endlich kann man hierher kommen, sagen sie, als Amnon hier war, hatten wir immer das Gefühl zu stören, und ich deute entschuldigend auf den blinkenden Computer, als Zeichen, dass ich keine Zeit habe, manchmal machen die Besucher Vorschläge, Ella, ich habe da jemanden für dich, du hast Amnon doch nicht verlassen, um allein zu sein, schade um dich, du vergräbst dich zu Hause vor dem Computer, geh doch ein bisschen aus, lerne Leute kennen, was hast du schon zu verlieren, doch ich lehne ab, das passt jetzt nicht zu mir, ich suche keinen Partner, allein bei dem Gedanken an die Anstrengung, die es braucht, um jemanden kennen zu lernen, wird mir schlecht.
    Du bestrafst dich doch bloß selbst, sagen sie zu mir, dass du leidest, bringt ihn nicht zu dir zurück, aber seit jener Nacht damals versuche ich nicht mehr, ihn zurückzuholen, weder offen noch versteckt, beide erwähnen wir jene Nacht nicht mehr, als hätte sie nur in unserer Fantasie stattgefunden. Wenn er den Jungen bringt, fassen wir uns so kurz wie zwei Geschäftspartner, die gegen ihren Willen gemeinsam eine Firma leiten und voneinander abhängig sind, dabei aber eifersüchtig auf ihre Privatsphäre achten, ich zeige keinerlei Interesse an seinem neuen Leben, und zu meinem Erstaunen muss ich mich dazu nicht verstellen. Es ist nur die Vergangenheit, die mich beschäftigt, und seine Gewohnheiten in der Gegenwart dienen lediglich dazu, die Vergangenheit zu erhellen, wobei das Unbedeutende und das Wichtige gleichwertig sind, sein Auftreten, seine Kleidung, sein Benehmen, sein Geruch, seine Rolle als Vater, seine Anständigkeit,seine Großzügigkeit, ich betrachte ihn mit einem argwöhnischen Blick, bemerke an mir ein Verlangen, von ihm enttäuscht zu werden, nur damit ein düsteres Licht auf unsere gemeinsamen Jahre fällt, aber darüber hinaus hat sich mein Interesse an ihm gewandelt, es ist trocken und begrenzt, fast wissenschaftlich, als wäre er kein lebendiger, atmender Mensch mehr, sondern ein wertvolles bewegliches Fundstück, mit dessen Hilfe meine Forschungsarbeit vorangetrieben wird.
    Gespannt verfolge ich seine Aktivitäten, fürchte, etwas zu verpassen, ob er allein in seiner schönen Wohnung ist, ob er für sich kocht, ob er wie früher alles anbrennen lässt, was er an seinen freien Tagen macht, ob er sich mit Frauen trifft, ob er noch immer kalt duscht, ob er sich anzieht, ohne sich abgetrocknet zu haben, ob er unseren gemeinsam begonnenen Aufsatz über das kanaanäische Bewässerungssystem fertig hat, ob er allein in dem Bett mit dem bestickten Überwurf schläft, ob seine Hand nachts meinen Körper sucht, aber es scheint, als hätten all diese Fragen ihre Bedeutung für mein gegenwärtiges Leben verloren, als dienten sie nur dazu, die Vergangenheit zu beurteilen, denn es ist nur die Vergangenheit, die ich prüfe, nur sie wird mein Urteil bestimmen.
    Durch diese Schichten, die von dichtem Staub bedeckt sind, stoße ich manchmal nach oben, ich setze einen zögernden Fuß auf die Schwellen anderer Häuser, die vor mir geöffnet werden, betrete das Leben, das sich schon immer um mich herum abgespielt hat und das ich nur nicht wahrgenommen habe, das Leben von Menschen ohne Familie, ohne gemeinsames Kind, ohne gemeinsames Bankkonto, ohne eine gemeinsame Wohnung, Einsamkeit trifft auf Einsamkeit und verdoppelt sich, und das ist es, was mir mein neues Leben bietet, das

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