Späte Familie
bieten haben? Die ganze Geschichte des jüdischen Volkes liegt unter unseren FüÃen, von hier aus hat KönigDavid über ganz Israel geherrscht, Salomon hat hier den ersten Tempel erbaut, und ich merke ruhig an, das ist nicht ganz korrekt, und wieder schreit er, was heiÃt das, nicht ganz korrekt, so steht es in der Bibel! Und ich lächle, die Bibel ist keine verlässliche historische Quelle, alle Ausgrabungen in Jerusalem haben nicht beweisen können, dass hier zu Zeiten Davids und Salomons ein groÃes Königreich existiert hat, im Gegenteil, es wurden nur einfache und vergleichsweise kleine Scherben gefunden.
Willst du damit sagen, dass es David und Salomon gar nicht gegeben hat, schimpft er, und ich sage, es hat sie gegeben, vermutlich, sie sind in den Schriften von Tel Dan erwähnt, aber ihr mythologisches Königreich hat es nicht gegeben, Jerusalem war zu ihrer Zeit keine prachtvolle befestigte Stadt, sondern ein kleines abgelegenes Bergdorf. Und wie ist dann dieser Mythos von einem groÃen Königreich entstanden, fragt Dina, und ich sage, so wie Mythen im Allgemeinen entstehen, um seelische Bedürfnisse zu befriedigen, um die Hoffnung auf ein legendäres goldenes Zeitalter zu wecken, das es schon einmal gab, oder um spätere Visionen zu bedienen, und er füllt zornig sein Glas, das ist doch nur Gerede, murrt er, seit wann ist das Fehlen von Beweisen schon ein Beweis? Ihr Archäologen habt keine Fantasie, morgen werdet ihr den Palast von David finden und all eure Theorien wieder verwerfen, vielleicht verbirgt sich ja gerade unter diesem Haus hier der Beweis, den ihr sucht, und ich lächle ihn versöhnlich an, seine Hartnäckigkeit rührt mich.
Ich bin jedenfalls fertig mit dieser Stadt, sagt seine Frau, das ist eine Stadt von Masochisten, und Dina sagt, klar, dieses ganze Land ist ein Land von Masochisten, und er widerspricht, haben wir eine Wahl, sag doch, was für eine Wahl haben wir, hast du etwa einen anderen Ort, an den du gehenkannst? Seine Frau schaut ihn deprimiert an, vermutlich nicht, vermutlich gibt es keinen Ort, wohin wir gehen können, und ich habe Lust zu sagen, auch wenn du keinen Ort hast, wohin du gehen kannst, könntest du doch in diesem Moment fortgehen, die Frage ist nicht, wohin du gehen kannst, sondern ob du bleiben kannst. Das Klingeln des Telefons unterbricht das Gespräch, er steckt am Shaar Hagai fest, der Arme, sagt Dina, noch immer mit dem Hörer in der Hand, ihr Blick geht zu mir, als handelte es sich um meinen Bräutigam, die StraÃe nach Jerusalem ist völlig verstopft, und ich zucke mit den Schultern, es ist besser so, ich werde früh gehen können, vermutlich habe ich mich, ohne es zu merken, an die Einsamkeit gewöhnt, und ihre banalen Gespräche bedrücken mich, ich versuche, sie zu ignorieren und nur auf das leise Fallen der Schneeflocken zu lauschen, und als Dina heiÃen Pfefferminztee einschenkt, verabschiede ich mich, auch wenn es keinen anderen Ort gibt, kann man immerhin aufstehen und davongehen.
Kann ich ihm deine Telefonnummer geben, fragt Dina, als sie mich zur Tür bringt, dieses Schneetreiben wird ja irgendwann aufhören, und ich sage, in Ordnung, wenn es dir so wichtig ist, Hauptsache, du lässt mich jetzt gehen, sag mal, wie bist du denn an dieses Paar gekommen? Sie lächelt, zusammen sind sie wirklich unerträglich, aber einzeln ganz in Ordnung, manchmal braucht man ein verheiratetes Paar, nur um sich zu beweisen, wie gut man es hat, fügt sie flüsternd hinzu, und ich muss ihr einen süÃen Moment lang Recht geben, dann springe ich leichtfüÃig hinaus und laufe in die Stadt hinein, die mich mit kühler Gleichgültigkeit empfängt, als wollte sie sagen, du hast mich zwar nicht beschützt, aber deinen Schutz brauche ich ohnehin nicht. Als ich die vereinzelten Kirchtürme betrachte, die Umrisse der Berge, deren Konturen sich durch die neue Bebauung verwischen,fällt mir ein, wie fremd ich mich damals in dieser Stadt gefühlt habe, vielleicht trage ich es ihr immer noch nach, ich brenne darauf, an Ausgrabungen teilzunehmen, die ihre Schande beweisen, und achte darauf, sie wie einen Forschungsgegenstand zu betrachten, wie eine wirre Ansammlung einzelner Fundstücke, ohne wirkliche Liebe.
Einzelne Autos bahnen sich einen Weg durch die StraÃen, die sich bis zur Unkenntlichkeit verändert haben, ich bin fast allein, überquere einen Spielplatz,
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