Späte Familie
Sonne, glühende, duftende Nebel stiegen aus der Erde, Winde streichelten Baumstämme, jeder neue Winter vernebelte den vorhergehenden, jeder Sommer übertraf den Sommer davor, fasziniert verfolgte ich das Spiel der Jahreszeiten, wie vier junge Katzen sprang eine auf die andere, verschwand eine vor der anderen, forderte eine die andere heraus, und ich, mittendrin, glaubte, sie täten es nur für mich, um meine Einsamkeit zu besänftigen.
Weiter unten auf der StraÃe springen fröhliche Zwerge herum, in ihren dicken Mänteln, mit Mützen und Handschuhen sehen sie aus wie Bälle, sie setzen sich auf Plastiktüten und rutschen den Hang hinunter, und ich wende den Blick ab. Mürrisch laufe ich in der Wohnung herum, prüfe von jedem Fenster die Aussicht, den bekannten Anblick, aufregend in seiner neuen, königlichen Kleidung, wenn er hier wäre, würde er von einem Fenster zum nächsten rennen, seine begeisterten Ausrufe würden Dunstwölkchen auf die Scheiben malen, schau doch, schau doch, würde er besserwisserisch schreien und verkünden, das ist das Schönste auf der Welt, als hätte er schon alle Wunder der Welt gesehen, und ich gehe enttäuscht zurück in mein Bett, ich will nur noch schlafen, bis Gili zurückkommt, an der Wand über meinem Kopf hängt noch unser Foto, wir stehen zusammengedrängtunter einem schwarzen Schirm, wie die Schneeflocken vom letzten Jahr lautlos um uns herumtanzten, ein Abschiedstanz war es, und niemand hat es gewusst.
Mir kommt es vor, als rufe mich jemand vor dem Fenster mit einem leisen Seufzer, überrascht richte ich mich auf, es ist die tote Zypresse, die mir entgegenknarrt, ihr geschmückter Wipfel berührt fast die Hauswand, ihre Zweige strecken sich mir im Wind entgegen, für einen Moment sieht es aus, als würden sie Knospen treiben, die weià wie Jasmin die trockenen Zweige schmücken, innerhalb weniger Stunden scheint sich die Zypresse in einen Mandelbaum verwandelt zu haben, glitzernd wie ein Weihnachtsbaum, ich bin verzaubert von dem Anblick, der zu neuem Leben erwachte Baum, auch wenn es nur ein vorübergehendes Leben ist, ein vorgetäuschtes, weckt in mir eine dumpfe, vergessene Lust, nicht die auf einen Mann, sondern Lust auf das Leben selbst, ich betrachte den Flug der glänzenden Flocken, wie Betrunkene taumeln sie um den Baum herum, manche werden von den Zweigen gefangen, andere sinken zu Boden, sie bringen mir einen geheimen Gruà vom Himmel, und diese weiÃe Schönheit klopft an mein Fenster, sie verlangt nichts von mir und ich verlange nichts von ihr. Ja, warum soll ich nicht auch für ein paar Stunden blühen, und plötzlich steigt in mir die Freude eines früher erlebten Vergnügens auf, eines Vergnügens, das von niemandem abhängt, stark und wuchtig und erschreckend in seinem Egoismus, und ich kichere am Fenster wie ein aufgeregtes junges Mädchen, das sich immer wieder an die Worte der ersten Liebe erinnert, an die Schönheit jenes Augenblicks, an dem sie zum ersten Mal verstanden hat, dass es eine Antwort auf ihre Sehnsucht gibt, und ich klammere mich an das weit geöffnete Fenster, schlucke die dichte, übervolle Luft, Sterne fallen auf meinen Kopf, Unmengen von Sternen, undda nehme ich von der Kommode das Geschenk, das auf mich wartet, das Tablettenröhrchen, in Goldpapier gewickelt und mit einem roten Band verschnürt, und werfe es in die Arme der Zypresse, wie den BlumenstrauÃ, den die Braut in die Menge wirft, bevor sie ihren neuen Weg antritt, ich werfe mein kostbares Geschenk dem Baum zu, der nach seinem Tod zu blühen beginnt, ein Geschenk gegen ein anderes.
Vor Jahren kaufte er mir einen weiÃen Pullover, und ich schenkte ihm dafür ein krummes Lächeln, wieso denn weiÃ, ich bin zu blass für weiÃ, aber jetzt, nachdem ich lange heià geduscht habe, suche ich den Pullover im Schrank, hülle mich, wie um mich zu tarnen, in die Farbe des Schnees, schminke mir die Lippen mit einem kräftigen Rot, öffne die vom Waschen glänzenden Haare, ich habe gar nicht gemerkt, wie sie in den letzten Monaten gewachsen sind, sie reichen mir fast bis zu den Hüften, und gehe in die blasse Stadt, hinein in die Schönheit dieses Wunders, das nur wenige Tage dauern wird, wie in die Schönheit einer neuen Liebe. Meine Schritte ziehen Spuren in den noch weichen Untergrund, und wenn ich mich umschaue, überrascht es mich zu
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