Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
der Politik weithin als Provokation empfunden und brüsk abgelehnt. Diesmal ist die Kanzlerin richtig sauer: »Manch einer, der im Finanzsektor arbeitet«, sagt sie in Anspielung auf Josef Ackermann, »riskiert schon wieder – lax gesagt – eine dicke Lippe.«
Wie schlecht die Stimmung zwischen der Regierungszentrale in Berlin und der Chefetage der Deutschen Bank nahezu das ganze Jahr 2010 über ist, zeigt sich noch im November des Jahres. Die Schuldenkrise in Irland hat sich gerade zugespitzt. Auf einer Pressekonferenz behauptet Regierungssprecher Steffen Seibert fälschlicherweise, Ackermanns Haus sei unter allen deutschen Banken am meisten davon betroffen. Als daraufhin der Börsenkurs deutlich nachgibt und Seibert sich weigert, seine Aussage unzweideutig zu widerrufen, weist die Deutsche Bank »die öffentlichen Mutmaßungen des Sprechers der Bundesregierung in aller Form als falsch und rufschädigend« zurück. Das Statement hat Seltenheitswert.
Erst die traditionsreiche Isny-Runde bringt das Eis zwischen Ackermann und Merkel wieder zum Schmelzen. Zu dem Treffen lädt der schwäbische Unternehmer Helmut Aurenz seit mehr als 30 Jahren Firmenchefs und Spitzenpolitiker in sein Landhotel Jägerhof im zu der Jahreszeit oft schon verschneiten Allgäu ein. Trotz vereinzelter gegenseitiger Spitzen erleben die handverlesenen Gäste dort eine Kanzlerin und einen Bank-Chef, die sich sichtlich bemühen, die jeweils andere Position zu verstehen und zum Wohle des Ganzen konstruktiv zusammenzuarbeiten. Die dramatisch verschärfte europäische Schuldenkrise lässt die beiden mächtigsten Personen des Landes wieder zusammenrücken.
Die Strategie des Schweizers zur Bewältigung der Krise ist von Anfang klar: Zuerst gilt es, Griechenland durch die Hilfe der anderen Eurostaaten vor dem Kollaps zu bewahren. Ziel: Zeit gewinnen. Diese Zeit muss das Land nutzen, sich selbst möglichst weitgehend zu sanieren. An eine vollständige Sanierung aus eigener Kraft ist ehrlicherweise nicht zu denken: Griechenland fehlt es schlicht und einfach an der wirtschaftlichen Wachstumskraft, um ein Defizit von über 300 Milliarden Euro (zuzüglich der Hilfsmilliarden) abtragen zu können. Mit Sparmaßnahmen allein, und seien diese noch so hart, ist dies nicht zu bewältigen. Als alle nur vom Sparen reden, verlangt der Deutsche-Bank-Chef deshalb auch schon früh eine Wachstumsstrategie für das Land.
Aber selbst damit wird sich nach seiner Meinung ein Schuldenschnitt zugunsten Athens am Ende nicht vermeiden lassen. Ackermann betrachtet einen solchen Schnitt zwar als unvermeidlich, sieht in ihm aber auch eine »Büchse der Pandora«. Denn damit hätten sich erstmals die Anleihen eines EU -Staates als nicht ausfallsicher erwiesen – mit möglicherweise gravierenden Folgen für Staatsfinanzierung, Anlageverhalten und Liquiditätspolitik von Banken.
Deshalb will er diese Büchse erst so spät wie möglich öffnen. Zum einen, um die Griechen zunächst zu maximalen Anstrengungen zu zwingen und den unvermeidlichen Forderungsverzicht der Gläubiger und damit auch den Ansehensverlust von Staatsanleihen möglichst gering zu halten. Zum anderen, um den Gläubigern Zeit zu geben, die zu erwartenden Verluste bilanziell zu verdauen. Vor allem sollen die anderen anfälligen Länder, besonders Spanien und Italien, notwendige Reformen einleiten und so die Ansteckungsgefahr reduzieren. Erst wenn das Vertrauen in die finanzielle Gesundung dieser Länder aus eigener Kraft groß genug ist und dort deshalb keine Forderungsverzichte drohen, kann Ackermann zufolge an einen Schuldenschnitt für Griechenland gedacht werden.
Exakt diesen Kurs wird später auch Angela Merkel steuern – und den Schweizer dabei als wichtigen Verbündeten an ihrer Seite haben. Mit keinem anderen Wirtschaftsführer, so denn auch die Süddeutsche , werde »hinter den Kulissen so eng kooperiert und vor der Öffentlichkeit so sehr die Distanz gesucht« wie mit dem Deutsche-Bank-Chef.
Im Juni 2011 , seit Wochen tobt bereits eine heftige Diskussion über ein zweites Hilfspaket für Griechenland, wird dies für jedermann sichtbar: Auf einer Tagung der Unionsfraktion zur Finanzmarktregulierung im Berliner Reichstag verspricht Ackermann der Kanzlerin, die Banken würden erneut ihren Beitrag leisten. »Wir sind uns unserer Verantwortung sehr bewusst«, so der Deutsche- Bank-Chef. »Wir wissen, dass die Bevölkerung in einigen Ländern nicht bereit ist, noch mehr Geld zu geben, ohne dass sich andere
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