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Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)

Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)

Titel: Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Baron
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der G 20 -Staats- und Regierungschefs statt. Erneut wird ihm dort schmerzhaft bewusst, wie schwer ein vielstimmiges Europa es hat, in der Welt Gehör zu finden. Investoren fehle wegen der unzureichenden institutionellen Verfassung derzeit das Vertrauen in den Kontinent, sagt Ackermann dort, »wir müssen die Institutionen Europas erheblich verstärken«.
    Von Cannes reist er nach Paris. Dort steht im ehrwürdigen Palais de Beauharnais, der Residenz des deutschen Botschafters in Paris, eine Rede vor über hundert geladenen Gästen aus der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite des Landes zur europäischen Staatsschuldenkrise an. Der Deutsche-Bank-Chef münzt sie in ein Plädoyer für eine engere Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich zur Vollendung der politischen Union um. »Wir können nicht einfach nur in die Asche schauen, wir müssen eine neue Flamme der Begeisterung entzünden«, so Ackermann. Es gehe heute in Europa weniger um Krieg und Frieden als um die Verteidigung des europäischen Gesellschaftsmodells, um Selbstbestimmung, also letztlich um »die Verteidigung unserer Freiheit«.
    Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Le Monde drucken die auf Französisch gehaltene Rede in Auszügen nach. Der Korrespondent des Handelsblatts in Paris fragt: »Wann hat man einen Banker das letzte Mal so reden hören?« Und die Londoner Financial Times stellt fest, der Deutsche-Bank-Chef, »seit langem einer der anerkannten Elder Statesmen der Finanzindustrie«, werde auch »politisch immer einflussreicher«.
    Zugleich tut Josef Ackermann in diesen Monaten vieles, um seinen Nachfolgern den Start zu erleichtern. Wo immer er kann, schließt er Rechtsstreitigkeiten mit Vergleichen ab; er verkauft die Pharmafirma Actavis, auf der die Bank in der Krise sitzen geblieben war, und nimmt dafür erhebliche Abschreibungen in Kauf; er versucht, wenig profitable Teile des Asset Managements, vor allem in den USA , und die mit Sal. Oppenheim übernommene BHF -Bank loszuwerden – allerdings vergeblich. Er baut beschleunigt Risikoaktiva ab, um so die Kapitalkraft der Bank zu stärken. Und anderes mehr.
    Parallel dazu forciert der Deutsche-Bank-Chef seine Anstrengungen für einen Kulturwandel in seiner Branche. Auf der Handelsblatt -Bankentagung Anfang September 2011 übt er heftige Kritik am eigenen Gewerbe: Es habe »noch keine wirklich überzeugenden Antworten« auf die Kritik gefunden, die den Geldhäusern selbst aus der »bürgerlichen Mitte der Gesellschaft« entgegenschalle. Sie müssten nach seiner Überzeugung ihre »gesamte Tätigkeit in allen Bereichen noch einmal gründlich daraufhin überprüfen«, ob sie damit ihren »genuinen Aufgaben als Diener der realen Wirtschaft gerecht werden«.
    Die Zeit konstatiert eine Abrechnung mit den Auswüchsen in der eigenen Zunft, »die auch von einem Sprecher der Occupy-Bewegung hätte stammen können«. Die Börsenzeitung stellt die Rede unter die Überschrift »Ackermanns Damaskus« und sieht »Saulus auf dem Weg zum Paulus«.
    Nach außen spielt der Schweizer sein politisches Engagement eher herunter. Die Finanzmärkte seien zuletzt »hochpolitisch« geworden, sagt er. Darauf müssten sich Bankchefs einstellen, wenn sie ihren Job gut machen wollen.
    Doch es ist mehr als nur eine Anpassung an die Zeitläufte. Ackermann sieht sich in der Tradition der Bilderberger. Sie hatten einst die europäische Bewegung stark vorangetrieben und die Grundlage für die 1957 als früher Vorläufer der EU geschlossenen Römischen Verträge geliefert. Und er ist überzeugt, dass Europa an einer historischen Wegscheide steht. Als führender Banker des Kontinents spürt er, dass er wesentlich Verantwortung dafür mitträgt, welchen Weg in die Zukunft dieser nimmt.
    Dass sein Eintreten für eine vertiefte Europäische Union dem Nicht- EU -Bürger ein Herzensanliegen ist, spüren auch seine Gesprächspartner in Brüssel – und sind ihm dafür dankbar. José Manuel Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission, bescheinigt dem Schweizer zu dessen Abschied, »viele Jahre lang eine der führenden Persönlichkeiten in der europäischen Wirtschaftspolitik« gewesen zu sein. Ackermanns »zuverlässige Unterstützung« habe »der EU dabei geholfen«, durch die Finanzkrise zu steuern. Herman van Rompuy, Präsident des Europäischen Rats, erklärt zu demselben Anlass, »wie so viele andere, das Wissen und die Ratschläge« des Deutsche-Bank-Chefs während der Staatsschuldenkrise

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