Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
würden Erschütterungen in einem Land sich dann zwangsläufig auch auf die Gemeinschaft übertragen. Dennoch dauert es noch zwei Jahre, bis die erste Tretmine hochgeht.
Im Herbst 2009 räumt die neugewählte Regierung in Athen unter Giorgos Papandreou ein, dass die Neuverschuldung des Landes in diesem Jahr mit fast 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ( BIP ) doppelt so hoch ausfallen werde wie zunächst kalkuliert und damit mehr als viermal so hoch wie die drei Prozent, die der Maastricht-Vertrag erlaubt. Rund 300 Milliarden Euro Schulden hat das Land inzwischen angehäuft. Das Haushaltsdefizit steuert auf die Rekordmarke von 125 Prozent des BIP zu, über das Zweifache der 60 Prozent, die der Maastricht-Vertrag als Obergrenze für den Euroraum vorsieht. Die EU -Finanzminister stellen Athen unter besondere Aufsicht. Bis Januar soll die neue Regierung einen umfassenden Reformplan zum Defizitabbau vorlegen.
Josef Ackermann erkennt sofort die Gefahr, die von Griechenland ausgeht. Obwohl das Land nur 2 , 5 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU ausmacht, ist der gesamte Euroraum anfällig für eine Ansteckung. Weitere zwölf der insgesamt 16 Eurostaaten überschreiten ebenfalls bereits das Maastricht-Limit, darunter auch Deutschland. Auf einem Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt Anfang Dezember, bei dem er zur Abwehr einer Kreditklemme einen Eigenkapitalhilfsfonds der Banken für Mittelständler vorschlägt und 300 Millionen Euro dafür bereitstellt, warnt der Schweizer vor tickenden »Zeitbomben«.
Eine Woche später explodiert die erste von ihnen. Am Dienstag, dem 8 . Dezember 2009 kurz vor halb zwei am Nachmittag, blinkt auf Tausenden von Bloomberg -Terminals in Finanzinstituten rund um die Welt die Nachricht auf, dass die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit Griechenlands in die B-Klasse herabgestuft hat. Eine Kettenreaktion beginnt. Die anderen Ratingagenturen folgen Fitch, die Investoren ergreifen die Flucht. Versicherungen und Pensionskassen müssen griechische Staatsanleihen pflichtgemäß abstoßen, sie sind zu riskant geworden. Die Zinsen für neue Schuldpapiere aus Athen schießen in die Höhe.
Im Januar legt die Regierung in Athen einen Plan vor, wie das Land bis 2012 wieder die Maastricht-Regeln erfüllen soll. Doch die Finanzmärkte wollen jetzt keine Pläne mehr, sie wollen Taten sehen. Spätestens bis Ende Mai muss Griechenland 25 Milliarden Euro refinanzieren. Es ist fraglich, ob Athen am Kapitalmarkt noch frisches Geld bekommen wird. Rasches Handeln ist gefragt.
Aber Europa ist sich über das Vorgehen uneins. Die EZB schließt ein Eingreifen zugunsten Griechenlands, etwa durch den Kauf von Staatsanleihen, aus. »Die Notenbank wird ihre Prinzipien nicht ändern«, so Jean-Claude Trichet. Die deutsche Regierung wehrt sich strikt gegen staatliche Finanzhilfen. Zur Begründung verweist sie auf die Verträge zur Währungsunion. Diese untersagen in der sogenannten Nichtbeistandsklausel eine solche Hilfe für andere Mitgliedsländer. Vor allem aber sieht sie sich mit dieser Haltung auf einer Linie mit der Volksmeinung. Der Focus drückt diese mit einem Titelblatt aus, auf dem die Venus von Milo den Griechen den Mittelfinger zeigt.
Josef Ackermann denkt da völlig anders. Er fühlt sich Griechenland eng verbunden. In der Schule hat er fünf Jahre lang die Sprache Homers gelernt und oft das Land bereist, eine seiner Jugendlieben war Griechin. Seit Anfang Februar 2010 lässt er hinter den Kulissen an einer Lösung für das Land arbeiten. Er weiß, die Investoren auf den Finanzmärkten brauchen bald ein starkes Signal.
Ende des Monats fliegt er selbst nach Athen, um Regierungschef Papandreou den Plan seiner Experten vorzustellen: Zuerst sollen sich die Griechen unzweideutig zur Konsolidierung ihres Haushalts verpflichten. Im Gegenzug könnten die bundesdeutsche KfW und ihr französisches Pendant, die Caisse des Dépôts, dann jeweils für fünf Milliarden Euro und private Investoren bis zu 20 Milliarden griechische Staatsanleihen kaufen. Ackermann hatte die Bereitschaft einiger großer Investoren bereits testen lassen – mit positivem Ergebnis.
Papandreou ist mit dem Vorschlag einverstanden. Noch am selben Tag kündigt er, wie gewünscht, öffentlich »brutale Maßnahmen« zum Defizitabbau an.
Als der Deutsche-Bank-Chef jedoch Kanzlerberater Jens Weidmann, heute Chef der Bundesbank, über seinen Plan informiert, lehnt dieser rundheraus ab. Auch wenn die Zahlung nicht direkt aus der Staatskasse erfolge
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