Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
Kreditzinsen steigen, dass Risiko wieder einen Preis hat. Das wäre nach den Jahren billigen Geldes ja nur die längst überfällige Rückkehr zur Normalität. Nein, je deutlicher der Mangel an Transparenz im Zusammenhang mit der Verbriefungspraxis wird, desto mehr stoßen Marktteilnehmer Vermögenswerte und Schuldenpositionen ab, die auch nur im Entferntesten problematisch erscheinen. Der Preisverfall im Subprime-Bereich dehnt sich auf andere Anlageklassen wie etwa Finanzierungen für Unternehmenskäufe, sogenannte Leveraged Loans, aus. Die zunächst regional begrenzt und beherrschbar erscheinende Krise auf dem US -Hypothekenmarkt entwickelt eine Eigendynamik, befällt immer mehr Bereiche des Finanzsystems. Eine Art weltweiter finanzieller Rinderwahnsinn bahnt sich an, das Vertrauen der Akteure schwindet.
Ist aber erst einmal das Vertrauen erschüttert, trocknet die Liquidität, das Schmiermittel im Finanzsystem, aus, weil jeder Marktteilnehmer an seinen eigenen flüssigen Mitteln festhält. Mangelnde Liquidität im System wiederum stört die Preisbildung und damit die Bewertung und den Handel von Risiken. Liquiditätsprobleme in einem Bereich greifen auf andere, gesunde Bereiche über. Dort werden Vermögenspositionen aufgelöst, um die Löcher in dem zuerst befallenen Bereich zu stopfen. Die ungewöhnlichen Marktbewegungen lösen die bis dahin gültigen Annahmen über die Korrelation zwischen verschiedenen Anlageklassen auf. Noch mehr Vertrauen geht verloren. Es ist eine Spirale nach unten, an deren Ende der Infarkt des gesamten Geldkreislaufs droht.
Um ihm vorzubeugen, verabreichen die Europäische Zentralbank ( EZB ) und andere Notenbanken dem Markt am 9 . August wie zuletzt sechs Jahre zuvor nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York eine Milliarden-Spritze. Am Morgen hatte die französische Großbank BNP Paribas wegen großer Wertverluste drei Fonds geschlossen.
In seinem Haus im Tessin, in dem er im August gerne Urlaub macht, telefoniert Josef Ackermann ständig mit Kunden, Mitarbeitern, Kollegen in anderen Banken, Politikern und Notenbankern. Auch ich habe ihn mehrmals täglich am Ohr. Da erst ganz frisch dabei, mache ich keinen Urlaub, sondern bin in der Bank geblieben und versorge meinen Chef laufend mit den neuesten Nachrichten.
Davon gibt es reichlich. Im Gebälk des internationalen Finanzsystems kracht es immer lauter. Goldman Sachs, die Paradebank der Wall Street, sieht sich gezwungen, einem hauseigenen Hedgefonds mit zwei Milliarden US -Dollar unter die Arme zu greifen. Nach American Home Mortgage kommt auch Countrywide Financial, die größte Hypothekenbank der USA , in Nöte.
In Deutschland gerät die Sachsen LB in eine Schieflage – aus denselben Gründen wie die IKB . Die Sparkassen-Gruppe sieht sich gezwungen, mit über 17 Milliarden Euro zur Hilfe zu eilen. Mit West LB , Bayern LB und LBBW müssen später noch drei weitere Landesbanken milliardenschwere Wertberichtigungen vornehmen.
Neben eigenen Fehlern sind sie Opfer der Zersplitterung und Strukturschwäche des deutschen Bankensektors. Viele Geldinstitute haben Ersatzgeschäfte in fremden Bereichen und Märkten gesucht, weil ihnen die Gewinne am Heimatmarkt nicht reichten – und sind dabei kläglich gescheitert.
In jenen Augusttagen im Tessin trifft der Deutsche-Bank-Chef die wohl wichtigste Entscheidung seines gesamten Berufslebens. Er glaubt nicht mehr, dass die Turbulenzen auf den Finanzmärkten nur ein reinigendes Sommergewitter sind und schnell vorüberziehen. Er rechnet noch nicht mit einer systemischen Krise, die das globale Finanzgebäude und mit ihm die Weltwirtschaft in Gefahr bringt. Aber mit einem tiefen und langanhaltenden Einschnitt als Folge der sinkenden Immobilienpreise in den USA .
Josef Ackermann begreift die heraufziehende Krise als Chance: für sich, seine Bank und den Internationalen Bankenverband, dem er vorsteht. Und er beschließt, die Probleme bei den Hörnern zu packen – in seinem Haus wie in der Branche. Der Gefahr, dass er dabei zum Gesicht der Krise werden könnte und auch die Deutsche Bank vermehrt dem öffentlichen Scheinwerferlicht aussetzt, ist er sich bewusst. Er nimmt sie in Kauf. Das Risiko muss er eingehen. Einzelne Medien wie die Börsen-Zeitung beginnen schon, das »Schweigen der Banker« zu beklagen. Verstecken wird er sich als Deutsche-Bank- und IIF -Chef sowieso nicht können, es wäre auch nicht seine Art. Er ist lieber Hammer als Amboss.
Anfang September 2007 , auf der
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