Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
alljährlichen Handelsblatt -Bankentagung in Frankfurt, traditioneller Treffpunkt der Branche nach der Sommerpause, setzt Josef Ackermann seinen Entschluss in die Tat um. Er bricht das Schweigen der Banker. Als erster Vertreter seiner Branche von Rang und Namen übt er öffentlich Selbstkritik, lange bevor die Finanzkrise mit dem Zusammenbruch der US -Investmentbank Lehman Brothers ihren Höhepunkt erreicht: Es sei zu »teils erheblichen Übertreibungen« in seiner Branche gekommen, sagt er. Das eigene Haus nimmt der Schweizer dabei nicht aus: »Ich schließe die Deutsche Bank hier mit ein.« Die »Konstruktionen von Finanzmarktinnovationen« seien teilweise »immer komplexer« geworden, die Risikoprämien hätten die zugrunde liegenden Risiken »nicht mehr angemessen« abgedeckt. Seine Kollegen, von denen die meisten zu dem Zeitpunkt nicht an eine Krise glauben wollen, ruft der Deutsche-Bank-Chef dazu auf, »die notwendigen Korrekturmaßnahmen anzugehen«.
Wie groß die Übertreibungen waren, wie sehr die Probleme noch wachsen würden und wie weit die Korrekturmaßnahmen einmal gehen müssen, ahnt Ackermann zu diesem Zeitpunkt allerdings selbst noch nicht. Bei einer Roadshow, die ihn in diesen Tagen nach Paris, London und Zürich führt, hält er für sein Haus unverändert an dem schon seit längerem für 2008 angekündigten Ergebnisziel in Höhe von 8 , 4 Milliarden Euro vor Steuern und einer langfristigen Eigenkapitalrendite von 25 Prozent fest. Auf den Märkten zeichne sich bereits der »Beginn einer Stabilisierung« ab, beschwichtigt er, »zu übertriebener Sorge« bestehe »kein Anlass«.
Öffentliche Anflüge von Optimismus zeigt Ackermann in den darauffolgenden Monaten immer wieder, obwohl die Probleme sich zusehends verschärfen. Kritiker verspotten ihn deswegen als »Gesundbeter« oder gar »Kontra-Indikator«. Sie übersehen dabei: In diesen Tagen und Wochen entscheidet sich, wie die Bank durch die Krise kommen wird. Erkenntnis verbindet sich mit Interesse. Viel vom Optimismus des Deutsche-Bank-Chefs ist Zweckoptimismus. Eine pessimistische Lagebeurteilung aus seinem Munde würde die Entwicklung nur beschleunigen, alles nur noch schlimmer machen und zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.
Zudem würde der Schweizer damit auch sein eigenes Handeln konterkarieren. Zusammen mit Risikochef Hugo Bänziger hat er für die Investmentbank inzwischen zum Rückzug geblasen und Order erteilt, sich radikal von problematischen Positionen im Handelsbereich zu trennen, selbst wenn dabei Verluste in Kauf zu nehmen sind. »Im Juli«, gemeint ist das Jahr 2007 , »haben wir gesagt: Raus! Andere haben darauf gesetzt, dass es bald wieder besser wird. Das hat den großen Unterschied gemacht«, antwortet er später auf die Frage nach dem Hauptgrund dafür, dass die Deutsche Bank trotz der hohen Risiken, die sie eingegangen ist, vergleichsweise unbeschadet durch die Krise gekommen ist.
So gelingt es gerade noch rechtzeitig bevor der Markt zusammenbricht, die eigenen Positionen an strukturierten Wertpapieren deutlich abzubauen und damit Abschreibungen und Verluste insgesamt in Grenzen zu halten. Als ein Team im Eigenhandel in London beim Versuch, relative Preisveränderungen auszunutzen, in wenigen Wochen rund 100 Millionen Euro verliert, sorgt Ackermann dafür, dass es sofort aufgelöst wird. Die gewohnten Preis-Korrelationen zwischen verschiedenen Vermögenswerten gelten nicht mehr.
Gleichzeitig baut der Bankchef für eine anhaltende Krise vor und lässt mehrere langlaufende Anleihen auflegen, um so die nötige Liquidität zu sichern. »Es hätte auch anders kommen können«, räumt er später ein, »aber man schläft mit Opportunitätskosten besser als mit Verlusten.«
Neben seiner ökonomischen Ausbildung helfen Ackermann in diesen entscheidenden Tagen auch die Erkenntnisse von seinen vielen Reisen rund um die Welt und sein internationales Beziehungsnetzwerk. Er weiß mehr als die meisten anderen, sein Blick für das große Ganze und sein Kontakt zur realen Welt sind intakt geblieben. Er spürt, dass die Musik nicht mehr lange spielt. Und am Ende steht ihm auch das Glück zur Seite.
»Better be lucky than smart«, hatte er einmal in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten gesagt. Ich hatte ihm daraufhin geraten, das »on the record« nicht zu wiederholen, wenn er nicht der ohnehin schon weitverbreiteten Vorstellung Vorschub leisten wolle, Banken seien kaum mehr als Spielkasinos. Außerdem provoziere
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