Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
hat, sieht »Seppi« wie der deutsche Leichtathlet Armin Hary mit neuem Weltrekord die Goldmedaille über 100 Meter holt. Es geht ihm ein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf. Jahrzehnte danach, mitten in der Finanzkrise, als die Diskussion über sein 25 -Prozent-Ziel wieder einmal hochkocht, lädt er sein einstiges Sportidol in die Bank ein, um mit ihm einen halben Vormittag lang über Höchstleistung zu fachsimpeln.
Im deutschen Fernsehen verfolgt der kleine Josef samstags oft auch die Spiele der Fußball-Bundesliga. Später beeindruckt er deutsche Kollegen, Freunde und Geschäftspartner mit seinen Kenntnissen. Sonntags beim Mittagessen schaut die Familie Ackermann regelmäßig den »Internationalen Frühschoppen« mit Werner Höfer, und der heranwachsende Josef beginnt, sich für Politik zu interessieren. Fasziniert verfolgt er die Wege von John F. Kennedy. Der jugendlich wirkende, charismatische US -Präsident war damals für junge Menschen in aller Welt ein Symbol des Aufbruchs zu neuen Ufern. Für Josef ist er zudem ein Siegertyp und verkörpert, wonach er sich im tiefsten Innern sehnt: die große weite Welt, Macht und Einfluss, Glanz und Gloria.
JFK betreibt eine Politik, die seinem Wesen entspricht: reformorientiert, aber nicht radikal. An der Kantonsschule in Chur, wie auch an der Hochschule St. Gallen, Josef Ackermanns späterer Alma Mater, haben Hippies und 68 er Revoluzzer keine nennenswerte Gefolgschaft. »An der Kantonsschule hatte nur ein Schüler lange Haare«, erinnert sich der Banker, »die haben wir ihm aber gestutzt.« Eine kritische Haltung gegenüber Autoritäten? Sicher! Das entspricht ja schließlich auch dem Leistungsprinzip. Aber Steinewerfen? Nein! »Ich bin kein Rebell gewesen«, sagt Josef Ackermann. Aber bis heute schätze er die »Aufbruchstimmung«, die in seiner Generation herrschte, und ihren Drang, »Erstarrungen in der Gesellschaft zu lösen«.
Nach der Matura und vor Aufnahme des Studiums besucht »Seppi« 1967 für vier Monate die Rekrutenschule der Armee und wird zu »Joe«. Die Kameraden schwärmen noch heute von seinem Durchhaltevermögen. Als Student leistet er in den Semesterferien regelmäßig Miliz-Dienst und trainiert seine Führungsqualitäten.
Die Armee gilt in der Schweiz als Kaderschmiede der Nation. Viele, die es im zivilen Leben bis ganz nach oben schaffen, sind auch dort etwas geworden. Und der Katholik vom Lande weiß, dass er besonders darauf angewiesen ist, ein Netzwerk zu knüpfen, wenn er den Aufstieg in die protestantisch geprägte Zürcher Wirtschaftselite schaffen will. Denn das ist sein Ziel.
Um es zu erreichen, nutzt er die Zeit in der Landesverteidigung, lernt mit Menschen aus allen sozialen Schichten umzugehen, Druck auszuhalten und auch unter schwierigen Bedingungen kühl Entscheidungen zu treffen. In seinem Berufsleben sollten sich diese Erfahrungen einmal als sehr nützlich erweisen.
Zielstrebig dient sich Josef Ackermann über die Jahre bis zum Obersten der Artillerie hoch. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bezeichnet er sich später einmal selbst als »Aufsteiger«. Und damit meint er nicht nur seine militärische Laufbahn.
Nach der Rekrutenschule schreibt sich der junge Josef 1968 an der Hochschule im nahen St. Gallen ein, um dort Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu studieren. Bei der Wahl des Studienfachs hatte sein Vater den Ausschlag gegeben. Der durchforstet täglich mit Vorliebe den Wirtschaftsteil der Neuen Zürcher Zeitung und spekuliert mit der ihm eigenen Behutsamkeit, aber erfolgreich an der Börse. Auf seinen ältesten Sohn macht das Eindruck. Statt Jura, was ihm zunächst vorschwebte, wählt er deshalb schließlich Ökonomie.
An der Elite-Uni, die auch viele ausländische Studenten besuchen, kann er sich erstmals auf internationalem Niveau beweisen und besteht auch diesen Leistungstest mit Bravour. Die deutschen Kommilitonen, darunter viele Kinder aus Unternehmerfamilien, haben mehr Geld, können besser reden und treten geschliffener auf als der Arztsohn vom Lande, aber der ist ihnen dafür in punkto Intellekt und Siegeswillen deutlich voraus.
1972 schließt er reibungslos sein Studium mit dem Diplom, in der Schweiz: Lizentiat, Fachrichtung Bankwirtschaft, ab. Anschließend gönnt er sich zum ersten Mal in seinem Leben eine Auszeit und fährt sechs Wochen mit dem Rucksack auf dem Rücken im Greyhound-Bus durch das Land seines Jugendidols Kennedy. Als Erstes besucht er die New York Stock
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